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Friedhelm Taube
Foto: Jürgen Haacks / Uni Kiel

„Vom Einfluss der Lobbyverbände lösen“

25. September 2019

Agrarwissenschaftler Friedhelm Taube über die Nitratbelastung des Grundwassers

choices: Kaum etwas ist selbstverständlicher, als das Wasser aus der Leitung. Wie ist die Trinkwasserversorgung in Deutschland in ihrem heutigen Ausbaugrad entstanden?
Friedhelm Taube:In der Systematik, wie wir sie heute haben, gibt es das noch gar nicht so lange – de facto haben wir erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine geregelte Trinkwasserversorgung. Hamburg war in dieser Beziehung Vorreiter. Der Auslöser war damals die Entdeckung von Robert Koch, dass viele Krankheiten, unter anderem Cholera, durch verunreinigtes Wasser übertragen werden. Das war in den 50er bis 70er Jahren des 19. Jahrhunderts der ausschlaggebende Grund im großen Stil eine geordnete Trinkwasserversorgung aufzubauen.

In den letzten Jahren ist die Belastung des Grundwassers mit Nitrat ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Zu Recht?
Es ist deswegen so akut, weil die landwirtschaftliche Intensivierung der letzten 60 Jahre dazu geführt hat, dass die Bodenfruchtbarkeit zunächst massiv erhöht wurde und damit deutlich höherer Erträge ermöglicht hat, durch die die Weltbevölkerung überhaupt erst so ernährt werden kann, wie sie heute ernährt wird. Aber ein Koppeleffekt dieser Entwicklung ist eben, dass die Nährstoffüberschüsse pro Hektar seit den 1970er Jahren ein Ausmaß angenommen haben, das einer guten Grundwasserqualität nicht mehr zuträglich ist. Man muss sich vergegenwärtigen, bis zur Erfindung des Mineraldüngers haben wir Jahrtausende lang defizitäre Nährstoffbilanzen gehabt – eine Idealisierung im Sinne von „früher war alles besser“ ist da absolut unangebracht. Wir haben es aber leider nicht geschafft, ein Maß zu halten, das die Grundwasserreservoire geschont hätte. Der nicht anthropogen beeinflusste Status des Grundwassers liegt in Deutschland etwa bei maximal 15 Milligramm Nitrat pro Liter, der von der World Health Organization (WHO) empfohlene Grenzwert bei 25 Milligramm pro Liter – Beste Landwirtschaft verursacht nicht mehr als 15 bis 20 Milligramm pro Liter, das ist durchaus möglich – eine gewisse Ausnahme bilden lediglich die Trockengebiete in Ostdeutschland, wo aufgrund sehr geringer Sickerwassermengen trotz guter fachlicher Praxis der Düngung teilweise erhöhe Nitratwerte auftreten können. Die aktuell geltenden Grenzwerte liegen nun bei 50 Milligramm pro Liter, das heißt, dass wir schon einen erheblichen Puffer eingebaut haben. Diese Überschüsse an Nitrat, die wir in den letzte 50 Jahren akkumuliert haben, bilden ein Reservoir, das in tiefere Bodenschichten sickert und dort irgendwann auch das Trinkwasser künftiger Generationen gefährden könnte, darum ist der Handlungsbedarf jetzt da.

Warum ist Nitrat so eine Gefahr fürs Trinkwasser?
Das hat zwei Gründe. Der eine, deutlich ältere ist der gesundheitliche Aspekt: Nämlich, dass durch eine erhöhte Nitrat-, und damit Stickstoffaufnahme durch den Menschen die Sauerstoffaufnahme des Blutes behindert wird. Und da Trinkwasser ein Grundnahrungsmittel ist, ist hier das Vorsorgeprinzip geboten, keine höheren Nitratkonzentrationen zuzulassen, als unbedingt nötig. Der zweite Punkt, der meines Erachtens genauso wichtig ist, ist die Wirkung des Nitrats auf die Ökosysteme und dessen Einfluss auf die Biodiversität, etwa, indem es in den Gewässern das Algenwachstum antreibt, damit den Sauerstoffverbrauch erhöht und so auch die Population der Fischbestände negativ beeinflusst. Das heißt also, wir haben die gesundheitliche und die umweltrelevante Dimension.

2017 trat eine neue Düngeverordnung in Kraft um dem Problem entgegenzutreten. Erfüllt sie die Erwartungen?
Da muss ich etwas weiter ausholen: Diese Verordnung ist rechtlich nichts anderes als die Umsetzung europäischen Wasserrechts durch Deutschland. Das wird in der öffentlichen Debatte vor allem von den Interessenverbänden der deutschen Agrarwirtschaft leider häufig anders dargestellt. Diese Akteure berufen sich auf die Notwendigkeit, allein eine gute Pflanzenernährung sicherstellen. Das ist so nicht richtig, denn die Verordnung ist die Umsetzung der europäischen Nitratrichtlinie in Deutschland, das heißt, es muss immer ein Ausgleich mit Umweltinteressen gewahrt werden. So steht es im Absatz 4 des §1 des Düngegesetzes. Es spielt keine Rolle, ob Pflanzen im Sinne eines maximalen Ertrages ernährt werden können, es geht darum, einen gesunden Mittelweg zu finden zwischen Ertragsleistung und dem Schutz der Umwelt. Dafür ist die Düngeverordnung von 2017 ein erster Schritt gewesen, der viel zu spät kam, andere Länder haben bereits 20 Jahre früher reagiert – das heißt, wir haben es hier auch mit einem Politikversagen zu tun, denn die Wissenschaft hat bereits vor zwei Jahrzehnten auf das Problem hingewiesen. Die Effizienz der Maßnahme ist dabei umstritten. Es gab in 2017 und 2018 zwar tatsächlich einen Rückgang des Mineraldüngereinsatzes um etwa 10 Prozent zu verzeichnen – im Vergleich zum langjährigen Mittel von ca. 100 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr – aber das ist eine Größenordnung der Reduktion, die wir vor zehn Jahren auch schon einmal hatten; 2008, 2009 war der Einsatz im Zuge der Finanzkrise schon einmal um 8 Prozent eingebrochen. Wir hatten nun allerdings auch zwei Dürrejahre, darum kann man nicht klar voneinander trennen, ob nun die Düngeverordnung, oder die Dürre zu diesem Rückgang geführt hat. Es ist sicherlich unstrittig, dass die Verordnung viele Landwirte zum ersten Mal dazu gebracht hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wir sehen aber auch an der Klage der EU gegen Deutschlands Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie, dass die neuen Vorgaben offensichtlich bisher noch nicht vollständig überzeugend waren. Ich habe im vergangenen Jahr in einem Gutachten geschrieben, dass die Verordnung voraussichtlich nicht ausreichen wird, die Ziele der Nitratrichtlinie zu erfüllen, und die Tatsache, dass die EU-Kommission diese Bedenken teilt, bestätigt meine Besorgnis.

Wie sieht die Situation der Nitratbelastung in Nordrhein-Westfalen aus?
NRW gehört zu den Bundesländern, die bezüglich der Umsetzung, in der Beratung und der Kontrolle als führend einzuschätzen sind, hier funktionieren die Kontrollmechanismen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, nämlich dass Kontrollen stattfinden und auch durch Sanktionen sichtbar werden, um die Akzeptanz der neuen Regeln in der Praxis wirken zu lassen. Gleichwohl zeigen die Daten des NRW-Nährstoffberichts von 2017 und 2018 auch, dass sich daraus keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Das heißt, man muss von einer gewissen Reaktionsverzögerung bei Landwirten ausgehen, weil diese sich erst einmal anschauen, inwieweit die Kontrollen nun tatsächlich ablaufen, bevor neue Handlungsmuster auf den Äckern sichtbar werden. NRW steht vergleichsweise günstig da, aber auch hier gibt es Regionen im Norden, wo eine hohe Dichte von Biogasanlagen und Tierhaltung in Verbindung mit sandigen Böden dafür sorgt, dass die Vorgaben der Nitrat- und der Wasserrahmenrichtlinie dort vielfach kaum eingehalten werden. Das wird weitere Verordnungsmaßnahmen des Bundes nach sich ziehen müssen. Die aktuelle Düngeverordnung ist nicht das letzte Wort, und man muss den Vertretern des Berufsstandes vorwerfen, dass sie die Landwirte nicht ausreichend darauf vorbereiten, dass die Regeln in Zukunft noch weiter angepasst werden dürften. Stattdessen wird versucht, die aktuellen Forderungen mit der Begründung abzuwehren, dass diese ‚kontraproduktiv für den Gewässerschutz‘ wären, was Unsinn ist. Spätestens 2022 wird es nach dem Düngegesetz von 2017 eine sogenannte Stoffstrombilanzverordnung für alle Betriebe geben müssen, das sind noch gut zwei Jahre, und ich appelliere in aller Deutlichkeit an die Politik, diese Herausforderung umgehend anzunehmen und zügig eine gut vorbereitete wissenschaftlich fundierte Stoffstrombilanzverordnung auf den Weg zu bringen – bisher ist davon leider nichts zu sehen.

Welche Maßnahmen müssten getroffen werden?
Der entscheidende Punkt ist, dass eine Bilanzierung der Nährstoffe über den gesamten Betrieb Standard wird, eine sogenannte Hoftor- oder eben Stoffstrombilanz. Das ist bisher leider für die Masse der Betriebe nicht der Fall. Nicht nur die Betriebe, auch der Landhandel und die Düngerindustrie müssen ihre Abgaben an einer zentralen Stelle melden, die mit diesen Daten dann die Hoftorbilanz erstellen kann. In Dänemark ist das bereits Standard, auch in den Niederlanden geht es in diese Richtung. Entscheidend ist ja nicht die Düngung selbst, sondern der Überschuss an Nährstoffen, der möglichst gering ausfallen sollte. Es gibt Standorte, wo ausgezeichnet ausgebildete Landwirte mit hoher Düngung sehr hohe Erträge realisieren, und wenn diese gleichzeitig einen sehr geringen Nährstoffüberschuss haben, resultiert daraus auch kein Problem. Aber wir haben eben auch einen großen Anteil an Bauern, die das nicht können, oder nicht wollen, und da ist der Staat gefordert, für das Wohlergehen der Gesellschaft zu sorgen und Kontrollen durchzuführen. Das bedeutet, wir haben gerade ein Zwischenstadium: Weil der Druck aus Brüssel da ist, muss die Bundesregierung in irgendeiner Weise handeln, um die drohenden Strafzahlungen von ca. 800 000 Euro – pro Tag, wohlgemerkt – abzuwehren. Das hat jedoch noch nichts damit zu tun, wie eine gute Düngerverordnung ab 2021 bzw. 2022 für alle Betriebe aussieht. Diese sollte auf jeden Fall die Hoftorbilanz und die Kontrolle der Nährstoffflüsse beinhalten – alles Vorschläge, die bereits in den Jahren 2012/13 von Expertengruppen des Landwirtschaftsministeriums an die Bundesregierung herangetragen wurden, aber von den Berufsverbänden und den CDU/CSU-Vertretern im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages massiv blockiert wurde. Umso wichtiger ist es nun, dass die Politik zügig entsprechende Vorbereitungen trifft, um 2022 eine wissenschaftlich fundierte Stoffstrombilanz für alle Betriebe wirksam werden zu lassen.

Gerade Agrarverbände sperren sich gegen härtere Maßnahmen. Sind Reduzierungen der Viehstückzahlen gegen diesen Widerstand überhaupt durchzusetzen?
Wenn der Berufsstand es schaffen würde, trotz der hohen Viehdichte in manchen Regionen das Problem der regionalen Nährstoffüberschüsse durch z.B. Gülle-Exporte in andere Regionen zu lösen, dann wären diese regional hohen Viehdichten vertretbar. Man muss ja bedenken, dass die Investitionen in die Tierhaltung in diesen Regionen erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursacht, in Bezug auf die Produktion aber natürlich auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Aber dann ist auch dafür Sorge zu tragen – und das muss der Staat tun – dass Kontrollen durchgeführt werden und dass die überschüssigen Nährstoffe an Gülle und Gärresten wirklich abtransportiert werden. Das ist bisher im Nordwesten nur sehr begrenzt der Fall. Das wird erhebliche Kosten nach sich ziehen und das bedeutet in der Konsequenz, dass Betriebe, die im Bereich der Tierhaltung nicht optimal wirtschaften, es schwer haben werden. Die bisherige Praxis in den Tierhaltungsregionen ist ja vielfach nichts anderes als eine Verklappung von Nährstoffen, die eigentlich in andere Regionen gebracht werden müssten. Wenn das über Verordnungen und Kontrollen nicht zu lösen wäre, dann muss man ab einem gewissen Punkt die Transaktionskosten sehen, die jetzt schon immens hoch sind – die Kontrollen, die Beratung, das bezahlen wir ja alle mit. Dann kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem die Forderungen politischer Kräfte zu akzeptieren sind, die die regionale Viehdichte deckeln wollen, etwa in einer Größenordnung von zwei Großvieheinheiten pro Hektar. Aber das würde natürlich die unternehmerische Freiheit beschneiden und eben auch die Landwirte bestrafen, die korrekt wirtschaften. Deswegen ist das nicht meine erste Option, man sollte das unternehmerische Handeln zur Wirkung kommen lassen, aber dann muss der Staat auch seinen Beitrag leisten, durch wirksame Verordnungen und echte Kontrollen. Vor allem sollte er sich vom bisher dominanten Einfluss der Lobbyverbände lösen und wissenschaftsbasierte Lösungen verabschieden.

Ist nur sauberes Grundwasser von Belang oder sind auch die Oberflächengewässer, Flüsse und Meere im Fokus?
Das ist ein guter Punkt. Wir haben im Augenblick die bizarre Situation, dass durch die Nitratrichtlinie die Karte von Deutschland in rote und grüne Gebiete aufgeteilt ist – in den roten Gebieten ist das Grundwasser bereits gefährdet, in den grünen bisher noch nicht. Allein die Tatsache, dass man jetzt darüber diskutiert, dass in den roten Gebieten erhöhte Auflagen erfolgen könnten, hat zur Folge, dass Ackerland in grünen Gebieten mehr wert ist, als in den roten Gebieten, das heißt, der Gesetzgeber nähme direkt auf die Bodenmärkte Einfluss. Angesichts der Tatsache, dass nicht nur das Grundwasser im Fokus steht, sondern sämtliche Gewässer von Relevanz sind, insbesondere die Nährstoffeinträge in die Meere, ist die Diskussion um die roten Gebiete und das Grundwasser sehr verkürzt. Was tatsächlich notwendig ist, ist sich von dieser Differenzierung und der Konzentration auf das Grundwasser zu lösen und einen Entwurf für eine umfänglich gewässerschonende und umweltschonende Landwirtschaft formuliert. Die meisten Acker- und Grünlandböden werden künstlich entwässert, das bedeutet, dass ein großer Teil der Stickstoffmenge nicht ins Grundwasser sickert, sondern sich über diese Drainagen und Flüsse in die Meere verfrachtet wird. Dänemark etwa geht ganz anders mit der Nitratrichtlinie um: Dort interessiert neben dem Grundwasser gleichermaßen der Eintrag in die Meere, und dort hat man durch entsprechende Gesetzgebung auch erreicht, diese Nährstoffeinträge massiv zu reduzieren, so dass Auflagen für die Landwirtschaft wieder gelockert werden konnten. Wenn wir das in Deutschland so oder ähnlich umsetzen würden, würde das dazu führen, dass die Gebiete, die jetzt noch grün sind, in vielen Gebieten auch rot würden. Das zeigt: Man sollte diese Differenzierung unterlassen und auch in den grünen Gebieten die Standards so setzen, dass wir mit Fug und Recht sagen können, dass sowohl die Belastung des Grundwassers als auch die der Flüsse, Seen und Meere zukunftsfähig ist. Da muss die Landwirtschaft hingeführt werden, wir brauchen eine bessere, eine stärker ökologisierte Landwirtschaft.

Es wird erwartet, dass das Klima in Deutschland heißer und trockener wird – vor welche Herausforderungen stellt das die Trinkwasserversorgung? 
Nun, es wird heißer und trockener, aber das ist regional sehr unterschiedlich. Wir werden im Sommer höhere Verdunstungsraten und mehr kurzfristige Trockenperioden haben, aber im Umkehrschluss haben wir in den letzten zehn Jahren auch gesehen, dass die Niederschläge in den Wintermonaten zugenommen haben, und so wird auch für die Zukunft z.B. in Norddeutschland prognostiziert. Und gerade die Wintermonate sind ja die Zeit der Grundwasserneubildung durch Sickerwasser. In Bezug auf die gesamte Wasserbilanz haben wir in Deutschland Regionen, die schon heute durch Trockenheit gefährdet sind, aber in Bezug auf ganz Deutschland zeigen die zur Verfügung stehenden Informationen, dass die Grundwasserneubildung vergleichsweise wenig beeinflusst sein wird. Wir haben aktuell diese Debatte, weil wir nun zwei recht trockene Sommer, sowie – und das war bisher recht selten – einen sehr trockenen Winter hatten. Darum sind die Bodenwasservorräte in vielen Regionen nicht wieder aufgefüllt worden, weshalb bis hin zum Baumsterben erhebliche Trockenstress-Effekte sichtbar geworden sind. Ob man das in die Zukunft fortschreiben kann, darüber wage ich keine Prognose. Es ist zu bedenken, wir leben in einem insgesamt humiden Klima, in dem wir im Mittel eine Grundwasserneubildung von 200-250 Millimeter, also 250 Liter je Quadratmeter, haben, die aber regional sehr unterschiedlich ausgeprägt sind – während wir etwa in Teilen Brandenburgs mit ca. 50 mm ein schon fast semi-arides Klima haben, haben wir im Allgäu eine Neubildung von fast 400 Litern pro Quadratmeter.


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Interview: Christopher Dröge

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