Statt wütender oder zumindest programmatischer Debatten gab's ja schon im Vorfeld der Wahl nur ein neckisches Beschmeißen mit Wattebäuschen zu begutachten, das allein dem schüchternen Werben junger Pennäler um die Gunst der Klassenlady glich. Klar reißt immer ‘n Kasper rechts außen sein Maul auf – weil er eh nicht mitmischen darf und demzufolge nur noch lauter krakeelt. Dafür biedert sich der Rest umso penetranter für die zukünftigen Koalitionsverhandlungen an.
So eifern FDP und Grüne gleichermaßen Paul Auster nach, der auf seine späten Tage mit dem groß angelegten Epos „4 3 2 1“ [Rowohlt] doch noch auf Aufnahme im Kanon der hohen US-Literatur hoffen darf: Hier die vier, vom Schicksal in unterschiedliche Richtungen gelenkten Leben des Archie Ferguson („Was wäre gewesen, wenn”), denen jedoch trotz aller sozialen Einflüsse eine charakterliche/genetische Determiniertheit innewohnt. Dort die ach so Liberalen, die mit mühsam zur Schau getragener Dreitagebart-Attraktivität ihre „Der-Markt-regelt-alles(-in-unserem-Sinne)-DANN“ nicht verschleiern können, sowie die einstmals Alternative Liste, deren bürgerliche Ursprünge zu panischen Kompromissen zwingen, um nicht zur Randnotiz zu verkommen. Schlussendlich leitet jedoch allein der Autor die Geschicke; und das machen Auster wie Angie in unnachahmlicher Souveränität.
Dementsprechend wird sich die Linke wieder mit der Rolle des proletarischen Bürgerschrecks zufrieden geben müssen. Wie Simone Buchholz' Protagonistin Chastity Riley ist sie verdammt zur Außenseiterrolle im Kampf für soziale Gerechtigkeit. Allerdings fehlt ihr dabei jener linke Haken, mit dem die verschroben-desillusionierte und doch unermüdlich kämpfende Staatsanwältin das Establishment in „Beton Rouge“ [Suhrkamp] zumindest hin und wieder auf die Bretter schickt. Ein Minimalziel, von dem Wagenknecht & Co. mal devot buckelnd, mal beleidigt-kratzbürstig, meilenweit entfernt sind.
Aber ohne ambitionierten Partner im Kampf gegen die fadenscheinige Sicherheitspolitik für ein starkes Deutschland geht eh nichts. Da dieser jedoch aus Angst, von der Regierungsbank geschubst zu werden, seine großspurig angekündigte Umverteilung des Reichtums nicht mal mehr zur Debatte gestellt hat, spuckt der Lit-O-Mat selbst für gemäßigte Humanisten nur noch die außerparlamentarische Opposition als Option aus.
Vielleicht sollte man aber gerade den Radikalen und Aussätzigen mal Gehör schenken, so wie es im Hard-Boiled Social-Beat seit jeher und in Les Edgertons „Vergewaltiger“ [Pulp Master] im Speziellen guter Brauch ist – verweisen unsere (Vor)Verurteilungen doch immer auch auf eine moralische Scheinheiligkeit und mangelnde Differenzierung, die jedwede Analyse des ‚Bösen’ und damit eine Entwicklung zum ‚Guten‘ verbauen.
Höchste Zeit, das Pferd zu satteln und den Spaghetti-Western nicht mehr als billige Satire, sondern ernst zu nehmendes Abbild der Gesellschaft zu betrachten. Emanzipation, Rebellion, die Implosion der Märkte – Leonard Koppelmanns Hörspielinszenierung des Klassikers „Sartana“ [u.a. Bela B., R. Brandt; Hörverlag] beweist gerade mit seinen staubtrockenen Dialogen einen sarkastischen Realitätssinn, der nicht zuletzt für die zukünftige Regierungspolitik gilt: „noch warm und schon Sand drauf“.
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