Liberalismus, Aufklärung und die gesellschaftskritischen Ansätze der Studentenrevolte sollten uns eine Epoche bescheren, in der die Idole hätten dahinschmelzen müssen. Im Himmel der Abgötter waren Aufräumaktionen angesagt, mit denen Platz für ein freies, analytisches Denken geschafft werden sollte. Aber von wegen, schon die Musikszene der Sechziger Jahre legte die Voraussetzung für einen Quell neuer Kultfiguren wie Janis Joplin oder Jim Morrison. Janis Joplin gab sich selbst den Namen „Pearl“ und begann die eigene Person aufzuspalten, wie es später auch Amy Winehouse praktizierte. Wir wissen, wohin das führte. Heute potenzieren sich die Legionen von Götzenbildern täglich über dem Gebrauch der digitalen Medien, in denen die Unterhaltung wie selbstverständlich als Information ausgegeben wird.
Was hat es auf sich mit dem „Golden Trash“, der von den Medien angeheizt wird, aber ein Phänomen darstellt, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen? Das Michael Douglas Kollektiv beschäftigt sich mit Pearl und dem „Club der 27“, zu dem jene Superstars der Rockmusik zählen, die mit 27 Jahren aus dem Leben geschieden sind. Ein komplexes Sujet, das Choreograph Georg Reischl und das fünfköpfige Ensemble (Michael Maurissens, Adam Ster, Douglas Bateman, Sabina Perry, Susanne Grau) in Angriff genommen haben. Denn die Magie der Idole steckt voller Ambivalenz. Eine Energie, die in den Tanzfiguren des Ensembles unablässig am Werk ist. Nie zuvor ist die erfahrene Truppe ihrem Kollektivgedanken so gerecht geworden wie in dieser Produktion. Hier gibt es Soli nur um sie schnell wieder aufzulösen. Gestalt beginnt sich zu formieren und zugleich geht sie in einen Prozess der Auflösung über.
Idole sucht man sich, man borgt sich ein Stück ihrer Identität aus. Facebook, Twitter oder Tumblr sind gigantische Austauschplätze für diesen Vorgang. Die Identifizierung mit dem Idol verlangt auch, dass wir ein Stück von uns aufgeben, Identität wird brüchig. Andererseits zerbrechen auch jene Menschen, die zu modernen Göttern des Club 27 zählten, an den übergroßen Bildern, die von ihnen entworfen wurden und denen niemand gerecht werden kann. „Jeder Ton entsteht, um zu verschwinden“, sagt Georg Reischl und diesen Prozess hört man nicht nur in der kongenialen Komposition „Pattern in a Chromatic Field“ von Morton Feldman, die Ruben Palma und Vittoria Quartararo auf Cello und Klavier spielen, er ist auch das Strukturelement der Choreographie. Hier werden keine erkennbaren Figuren entworfen, die man mit bekannten Tanzerfahrungen assoziieren könnte. Keine Bilder, sondern Energien bietet das Kollektiv. Immer wieder kristallisieren sich Tanzpassagen im Rampenlicht und werden sogleich dekonstruiert. Man könnte diese Arbeit abstrakt nennen, wenn sie nicht von einer solch fulminanten Verve getragen würde. Eine Arbeit, die das Wesen des Modernen Tanzes demonstriert. Hier werden nicht wie in der Literatur oder im Film Bilder beschworen und damit die Wurzel für neue Idole gelegt, sondern das Wesen des Vorgangs der Idealisierung stellt sich in seinen Kraftfeldern dar. Das ist intensiv und verlangt Konzentration, aber die stellt sich beim Betrachten dieser Tänzer, die die ganze Reife ihrer Persönlichkeiten einbringen, wie von selbst her.
Weitere Termine:
Golden Trash | 18. und 19.12., 20 Uhr | Alte Feuerwache, Köln | www.altefeuerwachekoeln.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Im Korsett weiblicher Codes
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Prolog 06/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in der Alten Feuerwache Köln – Bühne 01/24
Der Atem des Films
Das Festival „Edimotion“ holt die Monteure des Films ins Rampenlicht – Festival 10/23
Gestohlene, zerstörte Erinnerungen
„Artist Meets Archive“: Lebohang Kganye im RJM – kunst & gut 08/23
Die Sprache der Angst/Hoffnung
„Stimmen“ im RJM – Prolog 06/23
Die Utopie der Liebe
„Love? Eine Werkstatt“ im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kunstwandel 02/23
Kunst und Leben des Michael Biel
„Abschied von der neuen Musik?“ in Köln – Klassik am Rhein 02/23
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23