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Wolfgang Frömberg im Acephale
Foto: Florian Holler

Preußische Pappeln im Arbeiterviertel

11. Februar 2020

Wolfgang Frömberg mit „Rückkehr nach Riehl“ im Acephale – Literatur 02/20

„Dieser Ausflug ist eine Schnapsidee“, heißt es zu Beginn von „Rückkehr nach Riehl“, „entstanden an der Theke des Acephale.“ Kein Wunder. Die Eckkneipe auf der Luxemburger Straße, direkt gegenüber dem Bahnhof Köln Süd, beherbergt genug Spirituosen und schummriges Licht, um auf so einige Ideen zu kommen. Seit 2015 ist die Szenekneipe eine wichtige Institution im Nachtleben Kölns. Normalerweise kommen hier abends Soul, Funk, Disco und Hip-Hop aus allen Himmelsrichtungen zusammen auf die Plattenteller. Freitagabend ist das anders. Das lange DJ-Pult wird zur Seite geräumt. Ein Hocker, ein Mikrofon und eine Leselampe sind der Ersatz. Und ebenjene „Rückkehr nach Riehl“ von Wolfgang Frömberg.

Zusammen mit dem Betreiber des Acephale, Dima Oboukhov, und ausgerüstet mit einer Thermoskanne Hochprozentigem, macht sich Frömberg in seinem unveröffentlichten autofiktionalen Text auf zu einem Spaziergang in seine Vergangenheit – der Kindheit im Arbeitermilieu von Riehl.

Der Text, so pfeift schon der Name von den Dächern, ist inspiriert von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“. 2016 erschien der Roman in Deutschland und wurde sofort zum Bestseller. Der französische Intellektuelle untersucht dort mit den Mitteln der Soziologie die eigene Biografie. Im nordfranzösischen Arbeitermilieu groß geworden, ist Eribon ein Bildungsaufsteiger. Jemand der mit viel Fleiß den Sprung in die bildungsbürgerliche Elite geschafft hat. Nachdem sein Vater stirbt, kehrt er in seine Heimat zurück. Und untersucht dort, wie stark die Demarkationslinien von Herkunft und Bildung sich auch in seinen eigenen Lebensweg eingeschrieben haben. Wie teuer erkauft das kulturelle Kapital ist, dass sich jemand aus der Arbeiterklasse erarbeiten muss, um im akademischen Umfeld akzeptiert zu werden. Und wie stark die Entfremdung wirkt, die sich zwischen ihm und seinem Herkunftsmilieu auftut.


Foto: Christian Hedel

„Ich schleuderte das Ding nach ein paar Seiten in die Ecke“

„Das Buch war mir empfohlen worden, weil ich ein Kind der Arbeiterklasse bin, so wie der Soziologe, und dann in einem anderen Milieu landete“, reflektiert Frömberg in seinem Text. „Ich schleuderte das Ding nach ein paar Seiten in die Ecke. Eribons Ton kam mir selbstgerecht vor, und wo er gesteht, dass er sich als Klassenflüchtling und Provinzler in Paris unter den Gebildeten stets für seine Herkunft geschämt habe, wurde ich richtig sauer.“ Diese Wut, so erzählt Frömberg später im Interview, sei aber eine produktive gewesen: „Ich wollte Eribon jetzt nicht an den Karren pissen. Es war mehr ein Impuls, als ich seinen Text gelesen habe. Das Buch hat ja auch dazu geführt, dass ich viel über mich selbst nachgedacht habe, über meine eigene Herkunft. Insoweit hat mir Eribon auch geholfen.“

Wie Eribon stammt er aus dem Arbeitermilieu. Genauer: aus der Tiergartensiedlung in Riehl. Zwischen Rheinufer und Zoo wohnten damals vor allem Fordarbeiter. So auch sein Vater, der in den 50ern aus der DDR flüchtete und der sich wie „eine Preußenpappel (…) in die Riehler Erde gerammt hat und heimisch wurde“. Frömberg erzählt von einer Jugend zwischen deutschem Herbst, „Star Wars“-Filmen und Johnny-Rotten-Postern. Aber auch von dem prügelnden Vater, der die Familie verließ, um ein paar Häuserblocks weiter mit einer anderen Frau zusammenzuziehen. Und auch von dem langsamen Entschlüpfen aus der Umklammerung der Tiergartensiedlung, die ihn in die Verheißungen und Abhängigkeiten des Kulturbetrieb schwemmte, wo er als Pop-Journalist für Spex und Intro arbeitete. Vor allem aber ist „Rückkehr nach Riehl“ ein Versuch, dem Ort, in dem er groß geworden ist, „versunken wie Atlantis“, eine literarische Wiedergeburt zu ermöglichen.


Foto: Georgios Chatzoudis

„Wahre Entnazifizierung nie vollzogen“

Zu diesem Ort gehört aber auch die Erfahrung mit Fremdenfeindlichkeit und rechtem Gedankengut. Als 1973 in den Fordwerken der Gastarbeiterstreik losbrach, bei dem vor allem türkische Angestellte für gleichberechtigte Bezahlung protestierten, „beging Wolfgangs Vater Verrat an der eigenen Klasse. (…) Der Ausstand wurde mithilfe von Ford-Schlägern wie ihm niedergemacht.“ Und weiter: „Mein Vater lebt noch, aber ich rede schon seit über 20 Jahren nicht mehr mit ihm. Nicht nur wegen der häuslichen Gewalt, der mangelnden Empathie, der Fremdenfeindlichkeit. Seine Denk- und Ausdrucksweise, ja seine ganze Haltung und sein Körper sind von einem gefährlichen Gift durchdrungen, der Sprache des Faschismus.“

Womit man wieder bei Didier Eribon angelangt ist. „Rückkehr nach Reims“ war ja vor allem deshalb ein so großer Erfolg, weil hier jemand in der Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft, eine Erklärung dafür gefunden haben will, warum sich die Arbeiterklasse zunehmend von linken Parteien entfernt und Rechtpopulisten wählt. Eribon sieht die Schuld bei den Linken, die die Interessen der Arbeiter nicht mehr vertreten und sich ganz dem neoliberalen Zeitgeist angepasst hätten. Frömberg widerspricht dieser These nicht, kann Eribons Lösungsansätzen aber trotzdem nichts abgewinnen.

In seiner „Rückkehr nach Riehl“ schreibt er: „Doch klingt sein Vorschlag, wie man meinen Alten oder Leute wie seinen Vater, die sich als Protestwähler auf die Seite der Rechten geschlagen haben, wieder für die Linke gewinnen könne, nur absurd. Ja, wie eine bloße Rechtfertigung des von seinen Working Class-Ursprüngen entfremdeten Philosophen, der die Menschen hinter den Platzhaltern für seine Analysen nicht mehr sieht: ‚Dafür bedarf es vermittelnder Theorien, mit denen Parteien und soziale Bewegungen eine bestimmte Sichtweise auf die Welt anbieten.‘ Wer das für kurz gedacht hält, ist sicher noch kein Anti-Intellektueller. Eribon hat den Fehler eingesehen, lange Zeit hauptsächlich seine identitären Probleme gewälzt zu haben, doch bei aller Rückkehr zur Rückkehr fußen seine soziologischen Schriften auf Scham, Leugnung und Assimilation.“

Thüringen – ein Dammbruch?

Wie aber mit dem grassierenden Rechtspopulismus umgehen? Zunächst einmal geht es darum, das Problem richtig zu erkennen. „Ich glaube nicht, dass es diesen populistischen Drive nur bei den unteren Schichten gibt. Gerade auch die FDP spielt nicht ganz zufällig in Thüringen eine so große Rolle. Diese Ideologie ist auch im Bürgertum weit verbreitet.“ – Frömberg ist die Anteilnahme am aktuellen politischen Geschehen anzumerken. Noch kurz vor der Lesung baute er seinen Text um. Geht auch dort auf die Ereignisse im Thüringer Landtag ein, wo ein FDP-Politiker sich mit Hilfe der Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ: „Die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP – 1930 in Thüringen. Dort ist nun kein Damm gebrochen, die Normalisierung der AfD als parlamentarische Kraft ist Ergebnis eines schleichenden Prozesses.“ Frömberg spannt einen großen Bogen – von den Altnazis in den bürgerlichen Parteien, über die Wahlerfolge der NPD in den 60ern, bis hin zu Höckes völkischem Denken. Die These: Eine Entnazifizierung habe nie stattgefunden. Nirgendwo.

Das wichtigste Medium um der Rechten und ihren Gefahren Herr zu werden, so Frömberg, ist die Sprache. Wie das funktionieren kann, lernt man bei Victor Klemperer, einem deutsch-jüdischen Philologen, der während der Nazi-Diktatur minutiös die Sprache des Regimes dokumentierte: „Nicht nur in Wörtern oder Sätzen, auch in Gesten, in Ritualen und in Bildern erkannte Klemperer diese Sprache, alle Sinne geschärft, da ein falsches Wort ihm den Tod bringen konnte.“ Kein Vergleich mit den lausigen Versuchen des ZDF, Höckes Anleihen bei der Nazi-Rhetorik im Interview zu enttarnen.

Am Ende dieser literarischen Reise durch den Nationalsozialismus, der alten Bundesrepublik und dem neuen Rechtspopulismus landet man wieder in Riehl und seinen Bewohnern, denen, bei aller Politik, in „Rückkehr nach Riehl“ ein lebendiges literarisches Denkmal gesetzt wird. Vor allem einem: Effi. „Du warst nie der Herr Schiedsrichter, auch nicht bei dem Spiel im Schnee mit rotem Ball auf dem Platz von Köln 93, wo heute dieser Spaziergang durch die Zeit begonnen hat. Du warst, bist und bleibst immer mein großer Bruder. Ich würde es auch nicht anders wollen.“

Florian Holler

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