Nun also auch im Westen. Sascha Waltz & Guests bringen ihre Produktion „Körper“ als Gastspiel in die Kölner Oper und schließen damit eine Lücke innerhalb der Tanz-Historie am Rhein. Mit dieser Choreographie eröffnete Sascha Waltz vor elf Jahren die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Seither ging das Stück um die Welt und die gebürtige Karlsruherin stieg kometenhaft zum Star der internationalen Tanzszene auf. Vergleichbar nur mit Pina Bausch, deren Erbe deutlich in den Produktionen von Sascha Waltz erkennbar ist.
Auch wenn sich ihre künstlerische Entwicklung inzwischen Lichtjahre von „Körper“ entfernt hat, so ist das Stück immer noch von makelloser Aktualität, halt ein echter Klassiker. 13 Männer und Frauen, mit nicht mehr bekleidet als einem weißen Slip, wischen unsere Vorstellungen von einem individuellen Körper spielerisch und doch unbarmherzig konsequent wie eine Kreideschrift an der Tafel aus. Worte und Körperteile werden auseinander montiert. Zerteilte Gestalten tauchen auf, mit dem Oberkörper einer Frau, die untenherum ein Mann ist, oder umgekehrt. Menschen werden an ihrer Haut durch den Raum getragen, wie Katzen, die man am Genickfell packt. Nackte Körper verschmelzen zu einem Hügel aus menschlichem Fleisch, ja, da erstirbt die letzte Spur von Humor oder die Körper fügen sich zu Linien im Raum, wie Markierungen. Keine Individualität, keine Erotik und dennoch geballte Sinnlichkeit. Eine Choreographie von fast zwei Stunden, die bis an den Rand mit Ideen und Bildern gefüllt ist, keine Wiederholungen braucht, weil der Inspiration offenbar keinerlei Grenzen gesetzt sind.
Ein Meilenstein zumindest für die Geschichte des Deutschen Tanzes, weil Sascha Waltz eine Dekonstruktion des Körpers vornimmt, die sich wie der Scheitelpunkt einer Epoche darstellt. Bedeutungen werden zerbrochen, Zeichen verdreht, die Sprache wie eine irritierte Kompassnadel außer Funktion gesetzt. Eine Tabularasa praktiziert das Ensemble, die eine wunderbar klärende Funktion erfüllt, weil sie alle Klischees und Stereotypen der konventionellen Tanzsprache zerbricht. Nach diesem Stück muss der Tanz neu erfunden werden, und mit dieser Arbeit setzt das Ensemble auch gleich an. Es produziert wieder Humor, setzt zu kurzen, zärtlichen Momenten an und zeigt uns die Schönheit des Körpers. Nicht weil er verklärt würde, sondern indem ganz explizit gesagt und gezeigt wird, dass wir nur diesen Körper haben. Wenn er auch nicht perfekt ist, so ist er doch lebendig, das ist Wunder genug. Und tatsächlich stellt sich trotz der martialischen Klänge des Sound-Spektakels von Hans Peter Kuhn eine versöhnliche Note ein, die Würde und Ausdruck der Körper in ihrer Bewegung feiert. Das Kölner Publikum rief denn auch die Dreizehn mit seinem Applaus wieder und wieder vorne an die Rampe.
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