Als Musikhörer neigt man schnell dazu, Künstler in eine Genre-Schublade zu verfrachten. Dann weiß jeder, woran er ist und was er zu erwarten hat. Doch was passiert, wenn diese Schublade nicht zugehen will, nicht so recht passen möchte? Dann schauen die Leute auf, hören genauer hin, um zu verstehen und zu realisieren, was sie da gerade hören. Anderson .Paak ist so jemand, bei dem man genauer hinhört. Das Allroundtalent ist Produzent, Schlagzeuger, Sänger und Rapper in einer Person und die jüngste Entdeckung des Westcoast-Rap-Paten Dr. Dre. Er bewegt sich gerne zwischen den Genres, will Neues erschaffen und fernab des Mainstreams agieren – so kommt es einem zumindest vor. Er hat das Kreativ-Potenzial der Musik erkannt und macht es sich auf eine angenehm unbeschwerte Art zu Nutze. Dafür zieht er die Essenz aus alten Soul-Sounds, Electronic-Funk, R&B und Jazz-Einflüssen und verpackt sie in mitreißende Rap-Geschichten. Vergleiche mit Größen wie Lauryn Hill, Bill Whiters und auch Prince sind dabei keine Seltenheit. Diesen aufregenden Stilgrenzgang lobten schon die Feuilletonkritiker auf seiner neuen Platte „Malibu“. Das macht Lust auf mehr. Wie sich der talentierte Storyteller im Live-Format präsentiert, konnte man am Dienstagabend im Kölner Gloria bewundern.
Das Abendlicht taucht das traditionsreiche Mehrzwecktheater in ein rosafarbenes Licht. Es ist warm, sehr warm. Ein ungewohnt seltenes Gefühl in diesem doch sehr verregneten Kölner Sommer. Scheint so, als ob sich das Wetter dem Künstler anpassen möchte. Denn die Musik von Paak bietet den perfekten Soundtrack für einen Endlos-Sommer. Der Himmel gleicht den milden Farben des Sonnenuntergangs, der das aktuelle Album-Cover ziert und der warme Wind der Brise des abgebildeten Meeres. Kurzum: Köln bietet der neuen Rap-Hoffnung aus dem Kalifornischen Sunshine-State ein ausgezeichnetes zu Hause. Ein Gefühl von Gelassenheit macht sich breit – zu sehen in den lachenden Gesichtern vor der Konzert-Location. Erst kurz vor Beginn bewegen sich die Massen in die dezent kühlen Hallen.
Drinnen angekommen, füllt es sich recht schnell. Es ist ausverkauft. Überall englischsprachiges Publikum. Liegt wohl daran, dass es Anderson.Paaks einzige Solo-Show zwischen seinen zahlreichen europäischen Festival-Gigs ist. Ein angenehmer Nebeneffekt: Die Vorband bleibt aus. Meist ein recht unbeliebtes Anhängsel, das selten überrascht oder das Publikum animiert. Das Licht verdunkelt sich, blaue Neonstrahler streifen die samtroten Wände ab und basslastige Musik ertönt. Doch die Bühne bleibt leer. Eine junge Frau mit finsterer Miene erscheint in der rechten, oberhalb gelegenen Loge. Die Kopfhörer und das Bewegen von Reglern lassen erkennen, dass die Vorband ein DJ-Set zu sein scheint. Wortlos spielt sie einen perfekt zusammengestellten Mix aus Hip-Hop-Klassikern und aktuellen Hits ab. Dabei geben sich Kendrick Lamar, Busta Rhymes, Kanye West und Jay Z die Klinke in die Hand. Die Massen rasten dezent aus und feiern jedes Lied. Sie bewegen sich zum Takt, haben Spaß und feiern ausgelassen. Fast vergisst man, dass es ein früher Dienstagabend ist und findet sich für kurze Zeit in einer wilden Weekend-Partynacht wieder. Mehr Animation geht nicht. Die DJane stimmt kopfnickend zu, verzieht aber weiterhin keine Miene. Sie lässt sich nicht feiern, sondern die Musik für sich sprechen – also das genaue Gegenteil von Anderson.Paak.
Nachdem der Saal sich aufgeheizt hat, bleibt es nur kurz hell. Paak lässt nicht lange auf sich warten und nutzt die entstandene Party-Stimmung der Menschen. Ein perfekter Übergang ohne Langeweile. Wieder taucht sich das Licht in die warmen Farben der Neonstrahler. Seine Band The Free Nationals betreten die Bühne und nehmen ihre Plätze ein. Paak selbst beginnt seinen Opener „Green Light“, ein Sample von einer älteren EP, noch Backstage, bevor es ihn wild gestikulierend auf die Bühne zieht. Er stellt sich auf das vordere Podest, um seinem Publikum ganz nahe zu sein. Eine Symbiose entsteht und die Energie verdoppelt sich. Selten ergaben Künstler und Publikum eine so perfekte Einheit – und das von Anfang an. Wie gute Freunde, die sich jahrelang nicht gesehen und sich viel zu erzählen haben. Diese Stimmung liegt nicht zuletzt an seinem smarten Grinsen und seiner Art sich zu bewegen. Das alleine würde schon ausreichen, um auch alle anderen zum Tanzen zu bringen. Seine Stimme klingt dabei noch besser und intensiver als auf Platte.
Für den Anfang wählt er zwei intensive Bass-Nummern, die die Verstärker zum Vibrieren bringen. Dann nimmt er unter tosendem Applaus den Platz hinter seinem Schlagzeug ein und spielt seine aktuelle Singleauskopplung „The Season / Carry Me“. Er schafft es, seine sozial unverträglichen und schwierigen Texte in eine entspannte Atmosphäre zu verpacken. Das Publikum tanzt zu seiner schwierigen Familiengeschichte, zu seinem eigenen Schicksal. Er erzählt ausnahmsweise keine Storys aus dem Ghetto, sondern aus den unwirklichen, sonnengebleichten und vorrangig weißen Strandvororten von Los Angeles. Der Vater im Knast, die Mutter spielsüchtig, landete Brandon Paak Anderson sogar für wenige Monate auf der Straße. Aus eigener Kraft raffte er sich vom Boden der Tatsachen auf und startete durch. Das gewisse Quäntchen Glück im Gepäck und seine Passion für die Musik ließen ihn schnell erfolgreich werden. Dieser dennoch steinige Weg und die Erfahrungen machen ihn dankbar und etwas demütig. Das lässt er das Publikum von Anfang an spüren.
In der Mitte des Konzerts, nach „Room in Here“ und Schlagzeugsolo, wendet er sich an sein Publikum. Ernstgemeinte Worte der Dankbarkeit und zu seiner Person kommen zum Ausdruck. Doch Anderson.Paak will diese Stimmung mit einer Scherz-Einlage seiner Band durchbrechen, denn offensichtlich hält er sich nicht gerne lange mit der harten Wirklichkeit seiner Lebensgeschichte auf. Er verpackt sie lieber in einer seichten Hülle aus fröhlichen Beats. So unterbricht ihn nach kurzer Zeit eine Piano-Einlage von Vanessa Carltons „A Thousand Miles“, einem Chart-Hit aus der Millennium-Pop-Ära der 2000er. Zwar merkt man, dass es gewollt war, aber dennoch amüsiert einen das neckische Spiel mit seiner Band. Auch hier kommt ihm seine Authentizität zu Gute. Er wirkt ehrlich, aufrichtig und nicht gekünstelt. Er ist echt, lässt seinen Gefühlen freien Lauf und bewegt sich auf der Bühne ganz ungebunden von A nach B. Dabei hat er immer ein Auge auf seine Band und bezieht sie aktiv mit ein in das Geschehen. Im Saal entsteht ein Familiengefühl, etwas Vertrautes, das beeindruckt.
In der zweiten Konzerthälfte spielt er eine gelungene Mischung aus langsamen und schnelleren, aus alten und neuen Nummern. Das bringt Abwechslung rein und gönnt den Füßen auch mal eine Tanzpause. Die Stimmung des Publikums ebbt zu keiner Zeit ab. Müdigkeit ist ein Fremdwort. Der Anderson.Paak-Fan ist ein Mensch, der unermüdlich gute Stimmung präsentiert, mitsingt, rappt und Rhythmus im Blut hat. Vereinzelte Schlagzeugsolos von Paak verweisen auf sein ebenfalls unverwechselbares Gespür für den richtigen Rhythmus. Zusätzlich bringt der DJ den Plattensound mit Hintergrundgeräuschen aus hörspielartigen Ein- und Überleitungen mit Stimmengewirr, Gelächter, dem Rauschen der Brandung und karibisch anmutenden Tunes, die im Hintergrund aus einem Radio dudeln, auf die Bühne. Das entfaltete Klangsammelsurium macht der Collage im Coverartwork alle Ehre, das sich als große Leinwand im Bühnenhintergrund abbildet. Besser kann man sein neues Album nicht präsentieren. Mit dem Song „Am I Wrong“ und dem David-Bowie-Cover „Let’s Dance“ verabschiedet sich Paak.
Doch er hat nicht genug. Kurze Zeit später kommt er gleich für zwei Zugaben auf die Bühne zurück. So unermüdlich wie seine Fans sind, ist auch er. Er genießt die kochende Stimmung im Saal, behält jedoch bis zum Schluss seinen roten Pullover an. Mit einem weiteren tollen Mix aus alten Songs wie „Luh You“ und neueren wie „Silicon Valley“ geht es weiter. Der Blick über die Schulter verrät, dass mittlerweile auch der Barmann tanzend die Drinks serviert. Keinen scheint es auf seinem Platz zu halten. „Without You“ bildet letztendlich das Schluss-Szenario aus einem glücklichen Anderson .Paak und einem fast noch glücklicheren Publikum.
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