„Irgendwo zwischen minimalistisch und Schützenfest“ siedelt der neue Leiter des Moers-Festivals Tim Isfort seine programmatische Ausrichtung an. Und erinnert damit an ganz große Tage, als schwarze Jazzmusiker des Free Jazz wie Antony Braxton auf uniformierte lokale Feuerwehrleute trafen, um gemeinsam, damals auf einer Bauzaun-umstellten Freilichtbühne im Schlosspark, zeitgenössische improvisierte Musik erleben zu lassen. Eben diesen Braxton, der ab 1974 in jedem Jahr am Niederrhein neuen kreativen Jazz auftischte, hat Isfort jetzt wieder andocken können – ein gutes Zeichen, dass er nicht alte Bärte kappen will. Für drei Jahre hat er unterschrieben, und er will dabei den Jazz wieder mehr in das schöne Städtchen zurückbringen – Moers soll wieder Festivalort werden.
Auch wenn das Musikfest – aus dem bürgerlichen Aug und Ohr entfernt – jetzt seit Jahren in einer ehemaligen Tennishalle sein eigenes Festspielhaus an einem Parkplatz erhalten hat und dort ein stets gefährdetes Überleben fristet, so bleibt die bloße Existenz eines so luxuriös freigeistigen Festes für aktuelle und bewusst internationale Musik aus allen Genres ein echtes Luxusgut. Dessen Finanzierung ist offiziell für drei Jahre gesichert. Welche Ruhe. Deshalb hier schon die Aufforderung an alle Fans dieser nicht immer nur konsumgerechten und flockigen Beiträge: Hingehen und Gucken, wie es der Neue richten wird. Es klingt nicht schlecht.
Schon die Nennung der 46. Ausgabe weist auf den Traditionalisten Isfort hin, der selbst auch traditionell seine Wurzeln als Kind der Stadt nachweisen konnte. Eigentlich hatte er sich schon genügend in die Szene eingebracht, als Musiker mit eigenem Orchester und Künstlern wie Blixa Bargeld oder Katharina Thalbach, als Festivalmacher in drei Jahren Traumzeit-Festival und als Künstlerischer Leiter von Festivals u.a. im Kongo und in Myanmar (ehemals Burma), als Arrangeur und Komponist nicht nur für Theaterproduktionen am sehr renommierten Moerser Schlosstheater. Der Mann, kurz vor fünfzig, hat das Festival als Bub erlebt, später haben die wirklich markanten und individuellen Musiker ihn künstlerisch geprägt. Jetzt darf er sich für das Moers-Festival neu erfinden.
Wie der amerikanische Stardrummer Brian Blade, der in diesem Jahr als Gitarrist/Songwriter ganz neue Töne vorstellt. Seine Handschrift findet sich ganz offensichtlich in Einladungen an Ensembles wie „Pantra Sein Hla Myaing“, deren Musiker in Zeremonien Kontakt zu 37 Geistern aufnehmen können. Oder das Kongo-Produkt „Radio Kinshasa“; hier spielen die Musiker auf aus Müll gefertigten Instrumenten. Weitergeführt wird der „Improviser in Residence“, diesmal mit dem Trompeter John-Dennis Renken, der ein exklusives Festivalsextett u.a. mit der Posaunen-Walküre Shannon Barnett – zarte Person mit Riesensound.
Viele Künstler sagen auch dem Kenner wenig, darum geht es ja in Moers – Neues entdecken, mit den Extremen spielen, überraschen.
moers festival 2017 | 2.-5.6. | Festivalhalle | www.moers-festival.de
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