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Bryan Washington
Foto: Dailey Hubbard

Spaziergang durch Houston

04. Juli 2022

Bryan Washingtons „Lot. Geschichten einer Nachbarschaft“ – Klartext 07/22

Das englische Nomen „Lot“ lässt sich mit „Grundstück“ wie auch mit „Schicksal“ übersetzen. Erscheinen diese Übersetzungen erst zusammenhangslos, wird nach der Lektüre von „Lot. Geschichten einer Nachbarschaft“ (Kein & Aber) von Bryan Washington deutlich, dass Grundstücke und Schicksale doch eng miteinander verknüpft sind. Wo man geboren wird und in welchem Viertel man aufwächst, ist prägend für den eigenen Lebensverlauf und kann bestimmen, welche Chancen im Leben geboten werden. Washingtons Werk spielt in Houston, der größten Stadt Texas nahe der Grenze zu Mexiko. Sie prägt ihre Vielzahl an Kulturen, die hier nebeneinander leben. Der Autor führt uns in 13 miteinander verzahnte Kurzgeschichten durch verschiedene Stadtteile, die alle gemein haben, dass sie arme Viertel sind, in denen vor allem Einwander:innen jeden Tag gegen den Ruin und die Gefahr von Obdachlosigkeit kämpfen. Viele sind auf Aushilfsjobs angewiesen – oder auf Dealen und Prostitution.

Jede Geschichte spielt in einem anderen Viertel, in immer neue Leben erhalten wir Einblicke. Ein Erzähler taucht fortlaufend auf und setzt den Erzählungen einen Rahmen: Nicolás und seine Familie versuchensich mit einem Restaurant unter ihrer Wohnung über Wasser zu halten. Erst verlässt der Vater sie, dann gehen auch die Geschwister.Mit fortschreitender Lektüre spürt man die wachsende Hoffnungslosigkeit, die zusammen mit den Figuren in ihren Wohnungen haust. Alle verbindet ihre Ausweglosigkeit.

Washington erzählt die Geschichten einer Stadt, oder eher einer Seite der Stadt, der viele das Gesicht abwenden. Problemviertel werden sich selbst überlassen, Gentrifizierung als Erfolg gefeiert. Was mit den verdrängten Bewohner:innen passiert, interessiert niemanden. Washington verzichtet bei seinen Erzählungen auf Klischees, gibt jeder Person Raum für sich und zeigt auf, wie eng ihre Geschichten durch die strukturellen Gegebenheiten verknüpft sind. Zudem legt der Autor einen besonderen Fokus auf queere Geschichten, wie Nicolás, der aus Furcht vor Gewalt versucht seine Homosexualität zu verstecken. Schwierig in Wohnkomplexen, die durch ihre Enge keinen Raum für Geheimnisse bieten. Ein dynamisches, vielschichtiges Debüt, das aus Kurzgeschichten besteht, aber durch ihre Verwobenheit eher wie ein fragmentierter Roman wirkt.

Bryan Washington: Lot. Geschichten einer Nachbarschaft | Kein & Aber Verlag | 240 S. | 23 €

Katja Egler

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