Mag es winden, mag es nieseln: Vor allem nachmittags, am frühen Abend und an Wochenenden sind die zu Fuß- und Radwegen umgebauten alten Bahntrassen im Revier ein beliebter Ort. Hier in den Grüngürteln zwischen den Stadtteilen lassen sich auf vielerlei Weise entweder sportlich „Meilen machen“ oder kleine „Gassi“-Wege mit dem Hund zurücklegen. Bis 2020 soll eine weitere Funktion hinzukommen – als Rad-Schnellverbindung für Pendler von Ost nach West und umgekehrt. Eine offizielle Machbarkeitsstudie liegt in den letzten Zügen und wird Anfang September präsentiert.
In 19 Minuten von Gelsenkirchen zur Essener Nord-City, wofür heute noch 50 Minuten gebraucht werden. Oder in 16 statt 41 Minuten vom Bahnhof Mülheim zum Uni-Abzweig in Duisburg. Mit solchen Zahlen hat der Regionalverband Ruhr (RVR) Appetit gemacht auf die schnelle Verbindungstrasse, die weitgehend ohne Kreuzungen, Ampeln, Anstiege und sonstige Fahrhindernisse auskommen soll. Dafür aber mit ordentlicher Asphalt-Breite versehen, mit Beleuchtung und Winterdienst. Und womöglich mit kleinen Rast- und Pannenhilfestationen. Gut eine Million Berufstätige sind in der Metropole täglich über Städtegrenzen hinweg unterwegs – einen Teil von ihnen auf flotte (Elektro-)Drahtesel umzuswitchen, würde beträchtlichen Gewinn an Mobilität und eine Emissions-Minderung bedeuten.
Schön, aber nicht schnell: Radeln auf der gesperrten A 40 im Juni 2010. Foto: Stadt Bochum
Abzusehen war, dass Deutschlands erster „Radschnellweg“ auch in NRW nicht lange allein bleiben würde. Während die gedachte, rund 100 Kilometer lange Ost-West-Trasse von Hamm nach Duisburg mit Mitteln aus dem Nationalen Verkehrswegeplan untersucht wird, hat das Land dito Geld in die Hand genommen. Fünf Trassenbewerbungen erhielten Anfang des Jahres den Zuschlag für weitere Machbarkeitsstudien. Neben Schnellpisten im Raum Aachen, Münsterland und Ostwestfalen wurden vor allem die Großräume Düsseldorf und Köln ins Auge gefasst. Über die Landeshauptstadt soll ein Radpendler-Weg von Neuss bis Monheim reichen. Und aus dem ohnehin nicht Radler-feindlichen Köln sind jetzt acht Kilometer zwischen Frechen und der Uni in der Untersuchung. Allein dort werden einer solchen Piste gut 6.000 Pendler am Tag zugetraut.
Ein erster Abschnitt der Ruhrgebiets-Radstrecke ist sogar schon in Betrieb: fünf Kilometer zwischen Essens Uni und der Stadtgrenze zu Mülheim. „Allerdings fehlen uns noch Qualitätskriterien wie Beleuchtung oder Fußgängertrennung“, räumt RVR-Planungsdezernent Martin Tönnes ein. Die heikle Aufgabe, schlendernde Spaziergänger und Hundebesitzer von flott dahinpreschenden Radpendlern zu separieren, wird sich im gesamten Trassenverlauf stellen. Da müsse man sich praktikable Lösungen ausdenken, sagt Tönnes: „Man kann doch keine hohen Zäune bauen, damit Fußgänger nicht auf die Piste laufen.“
Die alten Bahntrassen geben ein gutes Grundgerüst für die Schnellweg-Planungen ab – freilich nicht überall. Im Bereich der Bochumer Innenstadt und vor allem in Dortmund fehlt dieses Netzwerk. Bochums Baudezernent Dr. Ernst Kratzsch hatte schon überlegt, die Lücke zwischen Westpark und Hauptbahnhof mit reinen Radler-Straßen zu schließen, in denen allenfalls Anlieger und Anlieferer mit dem Auto fahren dürften. Inzwischen sind dem Vernehmen nach Trassen-Alternativen im Gespräch, die einen südlichen Bogen um die City schlagen. Bleibt der Problembereich Dortmund, der mit vielen Neubaustrecken ziemlich teuer werden dürfte – wovor es dem Dortmunder Stadtrat graust. Denn aktuell sind Radwege vor allem eine Sache der Kommunen. Inzwischen hat man sich dort auf den Beschluss verständigt, „das Projekt im Rahmen einer intensiven Bürgerbeteiligung zu prüfen.“ Auch im Westen gibt es aktuell Bau-Probleme. Da ist inzwischen der zweite Bauabschnitt von Mülheims Stadtgrenze bis zum Bahnhof begonnen worden. „Aber momentan stockt es, weil dafür eine Ruhrbrücke saniert werden muss“, ärgert sich Essens Bürgermeister Rolf Fliß (Grüne). Nötig sei zur Beschleunigung auch eine Brücke über den neuen Berthold-Beitz-Boulevard: „Leider hat man einen Damm, den wir gut gebrauchen könnten, voreilig abgerissen.“
Nach den ersten Zahlen soll das Gesamtwerk ungefähr 100 Mio. Euro kosten. Die Investition würde sich allerdings volkswirtschaftlich lohnen, ist RVR-Dezernent Tönnes überzeugt: „Eine Nutzen-Kosten-Analyse ist erstmals Teil der Untersuchung. Und was bisher vorliegt, lässt den Schluss zu, dass der Nutzen weitaus höher sein wird.“ Ob das alles in Dortmund überzeugen kann? Fliß meint, das werde sich noch rechtzeitig finden. „Wenn der westliche Ast fertig ist, wächst dort der Druck.“ Ein schöner Beleg für diese These findet sich übrigens im Rheinland, wo die Bewerbung für die Rad-Schnelltrasse Bonn-Siegburg am „Nööö“ aus St. Augustin scheiterte. Die Verweigerer sehen sich derzeit ziemlichem Gemecker der Nachbarstädte ausgesetzt, die die Trasse allein aus touristischen Motiven liebend gern realisieren würden.
Der Zeitplan für den Revier-Radschnellweg ist eine Herausforderung. Martin Tönnes zeigt sich optimistisch, dass die Strecke „bis zum hundertjährigen Bestehen des RVR im Jahr 2020 befahrbar sein wird.“ Rolf Fliß gibt sich etwas skeptischer: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber eine Eröffnung 2020 wäre mir schon eine Flasche guten Champagners wert.“
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