An Rhein und Ruhr wird gependelt wie verrückt. Nicht im stillen Kämmerlein und womöglich mit Kontakt zu guten Geistern. Sondern öffentlich, auf Straße und Schiene: Eine Million Berufstätige überschreiten zweimal täglich ihre Stadtgrenzen und machen Stau, Lärm, Emissionen. Bis zu einer Distanz von 15 Kilometern könnte hier das Fahrrad eine viel größere Rolle spielen als bisher, ist der Regionalverband Ruhrgebiet (RVR) überzeugt. Dort treibt man jetzt die Planung für den deutschlandweit ersten „Radschnellweg“ voran. Hundert Kilometer flinke Piste sollen bis 2020 zwischen Duisburg und Hamm vor allem „Alltagsradler“ locken. Die erste Etappe existiert bereits.
Wer hat’s erfunden? Ausnahmsweise stammt die Idee zur „Rad-Autobahn“ nicht von den Schweizern, sondern wohl aus Kalifornien. Dort bauten sie zwischen Los Angeles und Pasadena einen 9-Meilen-„Cycle-Way“ aus Holz, aufgeständert und durchgängig beleuchtet. Das war 1897 … und um die Kosten zu refinanzieren, erfand man die 15-Cent-Maut für die Benutzung gleich mit. Dass die Strecke im falschen Wortsinn „unter die Räder“ geriet, muss eher dem Boom der Motorkutschen angelastet werden. Seit einigen Jahren forcieren Verkehrsplaner einen „Return“ der schnellen Radelpisten: Kopenhagen eröffnete 2012 den dritten Velo-Highway, in Holland existieren derer sieben (und 20 weitere sind in Planung). Selbst London hat bereits vier „Cycle Superhighways“ realisiert.
Nun also das Ruhrgebiet. War das Radeln auf der gesperrten A40 beim „Stillleben“ im Kulturhauptstadt-Sommer 2010 noch eine urige Einzelaktion mit Aha-Effekt, so ist die Idee vom Radschnellweg durchs Revier inzwischen gereift: Hier eine 5-Kilometer-Neubaustrecke zwischen Uni Essen und Mülheimer Stadtgrenze, dort Rad- und Spazierwege auf früheren Schienenstrecken wie die „Erzbahntrasse“ von Wanne zum Bochumer Westpark – plötzlich kam eines zum anderen. Eine vom RVR veranlasste Konzeptstudie belegt auf 125 Analyseseiten, „dass der Radschnellweg von Duisburg nach Hamm auf ein herausragendes Potenzial zurückgreifen kann und die Realisierung möglich ist.“
„Dabei haben wir nie unterstellt, dass Dortmunder mit dem Rad nach Essen fahren“, schränkt RVR-Planungsdezernent Martin Tönnes gleich wieder ein. Zielgruppe sind eher Berufstätige, Studis und Auszubildende, die in Ost-West-Richtung in der eigenen Stadt unterwegs sind oder regelmäßig die Nachbarstadt entern. Das sind nicht wenige: So pendeln allein in Essen 33.000 Menschen aus Mülheim, Gelsenkirchen und Bochum ein. Etwa 8.600 Bochumer sind werktags nach Dortmund unterwegs – in umgekehrter Richtung sogar 10.000 Menschen. „Der richtig interessante Bereich liegt in einem Streifen von zwei Kilometern nördlich und südlich der geplanten Schnell-Trasse“, hat Tönnes erkannt. „Hier sind 450.000 Arbeitsplätze angesiedelt und wohnen 1,1 Mio. Menschen.“
Sie sollen mit einem „Premium-Angebot“ animiert werden, vom Auto aufs flotte (Elektro-unterstützte) Rad zu wechseln. „Premium“ heißt: keine Umwege, ausschließliche Nutzung durch Radler, fünf Meter Bahnbreite, weitgehend kreuzungsfreie Führung, glatter Asphalt (der im Winter geräumt wird), dazu Beleuchtung, Rastplätze mit Wetterschutz – und auf City-Abschnitten sogar mit grüner Vorrang-Welle. Die Strecke vom Bahnhof Mülheim zum Abzweig Uni Duisburg könnte sich von 10,3 auf 6,8 Kilometer verringern, die Fahrzeit gar von 41 auf 16 Minuten. Von Gelsenkirchen zur Essener Nord-City bräuchte es optimalerweise 19 statt derzeit noch 50 Minuten.
Freilich muss die vertiefende Machbarkeits-Studie bis zum Herbst etliche Detailprobleme lösen. „Üblicherweise werden die Wege auf den Bahntrassen auch von Fußgängern, Familien mit Kinderwagen oder Hundehaltern gerne genutzt“, grübelt der RVR-Planungsdezernent. „Da müssen wir farblich oder baulich trennen.“ In Bochum würde dagegen die Route – soll sie attraktiv sein – quer durch die Innenstadt führen. Gerade dort fehlt es aber zwischen Westpark und Hauptbahnhof an einer Trasse. „Es könnte sein, dass wir uns für den Radweg-Bau von bestimmten Straßen verabschieden. In denen dürften nur noch Anlieger und Anlieferer mit dem Auto fahren“, überlegt Bochums Baudezernent Dr. Ernst Kratzsch eine fast revolutionäre Option. Der Mann ist übrigens der einzig bekannte Chefplaner im Revier, der täglich mit dem Fahrrad ins Büro fährt.
Die Kostenschätzung von 100 Millionen Euro (ohne Sonderbauwerke) sorgt dito für Dissonanzen. Der Dortmunder CDU erschien das Kosten-Nutzen-Verhältnis unbefriedigend, OB Sierau schloss sich den Bedenken an. Mittlerweile mag man im Rathaus sicherheitshalber gar nichts mehr zu diesem Thema sagen und die Machbarkeitsstudie abwarten. RVR-Dezernent Tönnes glaubt, dass die Strecke zu 80 Prozent vom Land finanziert werden kann … und will auch den Bund mit einbinden.
Fazit: Der Radschnellweg Ruhr könnte ein echter Volltreffer werden und Tausende Menschen zum Umstieg auf das Rad bewegen. Aber warum im Westen bloß bis Duisburg? Die Statistik weiß, dass allein aus Duisburg und Mülheim täglich mehr als 22.500 Menschen nach Düsseldorf pendeln. Der chronisch verkehrsgeplagten Landeshauptstadt könnte es zum Segen gereichen, sich für eine Verlängerung der Trassenplanung starkzumachen.
Hinweis der Redaktion: Auch die ruhrbarone nahmen sich bereits des Themas an:
www.ruhrbarone.de/radschnellweg-ruhr-brauchen-wir-ihn-wirklich/
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