„Ladies und Gentlemen, sehen Sie nun ein Stück über Mord, Habgier, Korruption, Gewalt, Ausbeutung, Ehebruch und Verrat. Dinge also, die unseren Herzen lieb und teuer sind.“ So beginnt das Musical „Chicago“ von Fred Ebb (Text) und John Kander (Musik) von 1975. Die Geschichte um die beiden Gefängnisinsassinnen Roxie Hart und Velma Kelly beruht auf zwei spektakulären Mordfällen im Amerika der 20er Jahre: Die Kabarettsängerin Belva Gaertner hatte ihren Ehemann erschossen und wurde freigesprochen. Riesigen Presserummel gab es auch um Beulah Annan, die ihren Liebhaber getötet haben soll. Aufgrund einer vermeintlichen Schwangerschaft und dank eines aalglatten Anwalts kam auch sie davon.
Ebb und Kander haben diese Geschichten aufgegriffen und mit „Chicago“ ein bissiges Musical geschaffen, das eine Parodie auf das amerikanische Rechtssystem ist und zugleich unvergessliche Jazz-Nummern beinhaltet. Nachdem Roxie Hart (Carmen Pretorius) ihren Liebhaber erschossen hat, als dieser ihr ankündigte, sie verlassen zu wollen, lernt sie im Gefängnis die Doppelmörderin und Tänzerin Velma Kelly (Samantha Peo) kennen. Beide Frauen wollen mit Hilfe des gewieften Anwalts Billy Flynn (Craig Urbani) dem Galgen entkommen, wobei sich eine Rivalität um die Presse, Strategien, Gerichtstermine und Flynns Aufmerksamkeit entwickelt. Bis heute hat das Broadway-Musical 31 Millionen Besucher in 36 Ländern begeistert und ist nun in der englischsprachigen Originalproduktion u.a. in Köln und Düsseldorf zu sehen.
Pretorius als Roxie und Peo als Velma hätten dabei nicht idealer besetzt werden können: Pretorius gelang es den Abend über wunderbar, sich in den berechnenden Engel mit goldigem Haar zu verwandeln, der nicht nur Ehemann Amos (Grant Towers) dazu bringt, ihr Lug und Betrug zu verzeihen und sie immer noch in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen, sondern auch schnell zum absoluten Liebling der Presse avanciert – verdrehte Tatsachen inklusive. Dagegen kommt Peo als Velma, die vorher eindeutig die Chefin im Gefängnisblock war, kaum noch an. Peo mit ihrer rauchigen Stimme und dem bösen Lachen brilliert nicht nur in der wohl berühmtesten Nummer des Musicals, „All That Jazz“, sondern auch in der Darstellung dieser facettenreichen Rolle.
Highlights für Fans toller Frauenstimmen waren „When You’re Good to Mama“ von Ilse Klink in der Rolle der ‚Mama‘ Morton sowie ihr Duett „Class“ mit Velma im zweiten Akt. Große Begeisterung auch im Premierenpublikum. Bei den männlichen Darstellern heimste Towers als tumber Ehemann von Roxie eindeutig Sympathiepunkte ein und erhielt großen Beifall für seine Solo-Nummer „Mister Cellophane“. Ebenfalls hervorragend in seiner Darstellung des windigen Anwalts Billy Flynn war auch Craig Urbani zu erleben. Visuell überzeugten vor allem die Tanz-Nummern mit dem hervorragenden Ensemble in feinster Jazzdance-Manier. In der Inszenierung von Bob Fosse ist und bleibt das Bühnenbild eher spartanisch mit einem Kasten für die Band auf der Bühne, ebenso sind auch die Kostüme ausgesprochen sexy, aber zugleich elegant in schwarz gehalten.
Zu den Stars des Abends gehört die exzellente Live-Band unter Bryan Schimmel, die phasenweise das Stillsitzen extrem schwierig macht. Über zwei Stunden feiern die Musiker in bester klassischer Jazzmanier ab und sind Teil der Bühnenshow. Der Premieren-Abend endete mit einem glücklichen Publikum und verdienten stehenden Ovationen.
„Chicago – The Musical“ | bis 16.6., Di-Sa 19.30 Uhr, Sa/So auch 14.30 Uhr | Musical Dome Köln | anschl. bis 30.6. in Düsseldorf | 0221 28 01
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