Wer oder was ist „Köln“? Nicht nur Kinder brauchen Märchen. Auch Erwachsene lassen sich zur Vergewisserung gerne etwas erzählen. Kölns populärster Mythos handelt vom Kölner an sich. Er sei rheinisch-gelassen, frohsinnig und unterhaltend, zugleich weltoffen und tolerant. Davon leben ganze Branchen – Kabarettisten, Karnevalisten, Mundart-Gruppen, Fremdenführer und der Kölntourismus. Die Tourismusmanager haben den dazu passenden Slogan erfunden: „Köln ist ein Gefühl“. Mit der Katastrophe in der Severinstraße hat der kölsche Zauber an Kraft verloren, die Gefühle sind nahe bei Null angekommen. Auch, weil ein Weggucken wie sonst üblich nicht möglich ist.
Risse im Selbstbild
Risse im geschönten kölschen Selbstbild zeigen sich nicht zum ersten Mal. Immer dann, wenn kritische Menschen in der Vergangenheit genauer hingesehen haben, bröckelte das Bild des menschenfreundlichen Rheinländers unter dem Dom. Beispiele? Die hochgelobte mittelalterliche Metropole entledigte sich im 15. Jahrhundert zunächst der Juden, dann der Zigeuner und war danach mehr als drei Jahrhunderte „judenfrei“. Mit protestantischen Ketzern machte man kurzen Prozess. Pardon gewährten die gläubigen katholischen Kölschen nur in seltenen Fällen, vor allem dann, wenn die Asylsuchenden über sehr viel Bargeld verfügten. Noch Ende des 18. Jahrhunderts jagten katholische Studenten evangelische durch die Stadt. Oder der Karneval. Vor einigen Jahren noch galt das „Fest“ den Kölnern nicht nur als Brauchtum, sondern auch als Ausdruck der hiesigen freiheitlichen Mentalität. Die Jecken sollen sich sogar als Widerständler gegen die NS-Diktatur erprobt haben. Inzwischen ist trotz vieler Behinderungen bekannt gemacht worden, dass auch die Narren den Arm zum Hitlergruß erhoben und den Rosenmontagszug in den Dienst der NS-Propaganda stellten. Nach 1945 vernichteten viele Karnevalsgesellschaften deshalb belastendes Material – zum Glück wurden einige der Zeitzeugnisse erhalten, sogar im Historischen Archiv der Stadt.
Danach blieb Toleranz eher ein Thema für Sonntagsreden, nicht anders als in Restdeutschland. Heinrich Böll zum Beispiel war bei Kölns Kölschen nicht wohl gelitten. Erst gegen heftigsten Widerstand konnte der Literaturnobelpreisträger 1982 zum Ehrenbürger gekürt werden. Heute widmet „Das große Köln Lexikon“ dem Kölner Literaturhaus ehrfürchtig mehr Zeilen als dem Schriftsteller, dem es eine „Hassliebe“ zu seiner Vaterstadt attestiert. Am Lexikon haben fast 50 „renommierte“ Kölsche mitgeschrieben. Oder Nico alias Christa Päffgen. Als eine Bürgerinitiative sich dafür einsetzte, der in Köln gebürtigen Warhol-Muse eine Straße zu widmen, ließ OB Fritz Schramma (CDU) seine Verwaltung verbreiten, die Künstlerin stamme gar nicht vom Rhein. Außenseiter goutiert der Klüngel nur dann, wenn sie nett und harmlos sind wie Lukas Podolski. Da macht es wenig, wenn der Kinderstar und Heilsbringer des 1. FC eher durch Ohrfeigen als durch Tore in den Schlagzeilen ist.
Wenn’s um Geld geht...
Bei den besseren kölschen Geschichten kommt ein gerne beschwiegener Zug der kölschen Mentalität zum Tragen – das gekonnte Wegsehen bei nicht immer ganz astreinen Finanzpraktiken. Der Skandal um die Herstatt-Bank erzählt davon. Ihr fast tragischer Held war eine Säule der Kölner Gesellschaft und ein Klüngler vor dem Herrn. Man schreibt das Jahr 1974. Vor ein paar Monaten hat Iwan „der Große“ Herstatt seinen 60. Geburtstag gefeiert. Über 1.000 Gäste hat der Bankier und begeisterte Karnevalist ins Kölner Opernhaus geladen, der Champagner fließt in Strömen. Keiner der Feiernden ahnt, dass längst dunkle Wolken über dem Bankhaus des Gastgebers aufgezogen sind. Seine Devisenhändler um Dany Dattel haben mit dem schwankenden Dollarkurs gedealt und zunächst nur gewonnen. Als der Gewinn einbricht, sorgen die Banker dafür, dass die Verluste nicht in der Bilanz erscheinen. Ein paar Monate geht das gut, dann ist die bis dahin größte Bankenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte perfekt. Herstatt muss schließen, 52.000 Kunden sind geschockt. Am Hauptsitz Unter Sachsenhausen 6 (dem heutigen IHK-Gebäude) kommt es zu Tumulten. Die Liquidation des Bankhauses wird sich noch über dreißig Jahre hinziehen, der Großteil der Gelder vom Insolvenzverwalter gerettet. Auch aus heutiger Sicht war die Herstatt Bank modern aufgestellt, einen eigenen Devisenhandel konnte damals nicht jeder Konkurrent vorweisen.
Fast aus dem Gleichgewicht hat sich die Sparkasse KölnBonn nicht durch ihren Devisenhandel gebracht, sondern durch ihre zahlreichen Immobiliengeschäfte – vom Bau des „Coloneums“ in Ossendorf bis zu den Messehallen in Deutz. Die Kreditanstalt bürgt nicht nur als Generalmieter über 20 Jahre für die Miete aus den „Rheinhallen“. In Ossendorf steht die Sparkasse inzwischen als alleinige Gesellschafterin für die Miete gerade, die der defizitäre Studiobetrieb MMC an Oppenheim-Esch zahlen muss. Hinzu kommen weitere Belastungen – alles zusammen macht eine Summe in dreistelliger Millionenhöhe aus. Kein Wunder, dass sich die Städte Köln und Bonn als Eigentümer gezwungen sahen, der Bank 350 Millionen Euro zuzuschießen.
Verdient haben an diesen Verträgen stets Oppenheim-Esch und seine Fonds, eine Kooperation von Deutschlands größter Privatbank Sal. Oppenheim und dem Troisdorfer Bauunternehmer Josef Esch. Zu den Zeichnern der Fonds gehören u.a. Alfred Neven DuMont und Hans Reischl (Ex-Chef von Rewe, dem Hauptsponsor des 1.FC). Derzeit ermitteln nach einem Spiegel-Bericht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Bundesbank gemeinsam gegen die Privatbank. Hintergrund: die Vergabe problematischer Bankkredite im Zusammenhang mit den hauseigenen Immobilienfonds. Oppenheim dementiert. Kein Dementi ist bei einem anderen Verfahren möglich: Über mögliche Verstöße gegen europäisches Recht beim Bau der Messehallen entscheidet demnächst der Europäische Gerichtshof.
Global handeln
Auch wenn Oppenheims Kölner Adresse nicht weit vom einstigen Bankhaus Herstatt entfernt ist, wird man der Bank kaum gerecht, wenn man sie dem einfachen „kölschen Klüngel“ zuschlägt. Sie agiert nicht nur zwischen der City, Deutz, Ossendorf und Troisdorf, sondern von ihrem neuen Sitz in Luxemburg aus weltweit. Auch die Karrieren der wirklich wichtigen Protagonisten sind längst nicht mehr nur zwischen Sparkasse, Parteivorstand und Stadtverwaltung angesiedelt. Rolf Bietmann (CDU), der typische Turboklüngler, agierte als Politiker im Kölner Stadtrat, war aber vor allem Vorsitzender des Verwaltungsrates und des Kreditausschusses der Sparkasse KölnBonn. Dabei hatte er immer auch das Machtzentrum Berlin im Blick. Nach der Zeit als Bundestagsabgeordneter gründete er an der Spree mit Partnern die PKS Wirtschafts- und Politikberatungsgesellschaft – nicht mehr lokal, eher global orientiert. In der ersten Riege versucht sich auch der frühere Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (SPD), der 1998 von einem zum anderen Tag in den Vorstand der Oppenheim-Esch-Holding wechselte. Inzwischen orientiert sich sogar die lokale Monopolpresse überregional. Das Haus DuMont Schauberg hat die Grenzen des Rheinlands hinter sich gelassen und sich im Berliner Zeitungsmarkt eingekauft. Neben der Mitteldeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau gehören jetzt die Berliner Zeitung, der Berliner Kurier, das Berliner Abendblatt, das Stadtmagazin „Tip“ und die Netzzeitung zum Konzern. Hinzu kommt die Hamburger Morgenpost. Wenn man genauer hinsieht, ist alles in allem nicht mehr „typisch kölsch“.
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