Ein unschlagbarer Reiz der Gegenwart liegt in den Unmengen von Superlativen, die sie tagtäglich bereithält; 2018 – das Hier und Jetzt – ist da keine Ausnahme. Noch nie zuvor bevölkerten so viele Menschen die Erde. Noch nie zuvor gab es so viele, so große Städte. Noch nie zuvor hatten so viele Menschen die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Ja, überhaupt, noch nie zuvor war der Mensch so wissend! Und noch nie zuvor gab es so viele Wege und Möglichkeiten, Mensch zu sein.
Kritiker mögen an dieser Stelle die Nase rümpfen und behaupten, dass manche Werte und Vorstellungen bereits Jahrtausende überdauerten, ganz ohne dass es jemals einer Bezeichnung bedurfte. Aber so funktioniert der Mensch eben nicht. Er zeigt auf, zeigt drauf, benennt – und darauf erst folgt die Existenz. Das dritte Jahrtausend ist in dieser Hinsicht die Spielwiese des Individualismus: Flexetarier, Fashionistas, Frührentner, Veganer, Drag Queens, Influencer, Allergiker, Studenten – die Fülle an menschlichen Lebensrealitäten ist so endlos wie unüberschaubar. Gott hat einen großen Garten, und es scheint, dass erst die 2010er Jahre dieses Übergewicht an Seinsformen zur Sprache bringen konnten. Genau hier, wo es schwer wird zwischen Trend und Entscheidung zu unterscheiden, beginnt er: Der Dschungel.
Angefangen bei der Frage, was etwa gute und gerechte Ernährung sein kann, führt er uns durchs Dickicht der menschlichen Vegetation und streift dabei Widersprüche, Überzeugungen und jegliche Form der Prokrastination. Denn der Mensch im dritten Jahrtausend ist nicht nur in der Lage, unendlich viel zu wissen – er ist auch in der Lage, unendlich viel unversucht zu lassen. Überfordert von den Ausmaßen des Möglichen, sehen wir uns tagtäglich mit Fragen konfrontiert, die uns eine Haltung abverlangen. Und wir? Wir stehen im Dschungel, zurückgeworfen auf uns selbst, im Stande, die Welt zu verändern und unfähig zugleich.
Mit der Ausstellung „Welcome to the Jungle“ will die Kunsthalle Düsseldorf genau an dieser Stelle ansetzen und uns von jener lähmenden Taubheit befreien, in die wir uns allzu gerne hineinkuscheln. In bester Tradition einer jeden philosophischen Schule geht diesem Vorhaben ein Erkenntnisprozess voraus, der die Menschheit als eine Spezies versteht, deren Befähigungen sowohl im Positiven wie im Negativen unbegrenzt sind. Selbst eine Gradwanderung zwischen dokumentarischem Anspruch und ungeschönten Einblicken ins eigene Seelenleben, lädt die Werkschau international renommierter Künstler den Betrachter dazu ein, teils spielerisch, teils ernst die Psyche einer globalisierten Gesellschaft zu sezieren. Anhand von Videoarbeiten, Installationen und Fotografien steht dabei vor allem die Ästhetik neben der Sinnfrage im Vordergrund. Um Antworten geht es jedoch in Düsseldorf nicht, genau so wenig wie um den moralischen Fingerzeig auf all jene, die Teil des Gefüges sind. Viel eher ist „Welcome to the Jungle“ eine Hommage an die Neugierde und das letzte Wort, das – wie immer – noch nicht gesprochen ist.
Welcome to the Jungle | 3.3.-21.5. | Kunsthalle Düsseldorf | 0211 89 962 40
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zügige Gesten auf den Punkt
Martha Jungwirth in der Kunsthalle Düsseldorf – Kunst in NRW 10/22
Der Alltag in Strukturen
Isa Genzken in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/21
Auf der Suche nach Truffaldino
Yann Annicchiarico im Düsseldorfer KIT – Kunst 08/20
Röhre voll Schwingungen
„degree_show – out of KHM“ im KIT Düsseldorf – Kunst 02/20
Helden der Malerei
Oehlen und Dunham in Düsseldorf – Kunst in NRW 01/20
„Eine ganz selbstverständliche Kommunikation mit der Welt“
Die „Sommer“-Ausstellung im Düsseldorfer Kunst im Tunnel – Sammlung 07/19
Ein Macher von Ausstellungen
Harald Szeemann in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/18
Im regen Austausch
Kunst aus Düsseldorf in der dortigen Kunsthalle – Kunst in NRW 09/17
Entscheide oder stirb!
Das Impulse Festival in Mülheim, Düsseldorf und Köln – Prolog 06/17
Der Mensch in Stücken
„Avatar und Atavismus“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/15
Evolution überfordert Menschen
Drei junge US-amerikanische Künstler in der Düsseldorfer Kunsthalle – Kunstwandel 03/15
Das Spektrum der Fotografie
Thomas Ruff in der Kunsthalle Düsseldorf – Kunst in NRW 11/14
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23