Versuchen wir, zu vergessen, wer Lars Eidinger ist. Stellen wir uns vor, der Künstler dieser Fotografien und Videos würde in einem so bedeutenden Kunsthaus wie K21 in Düsseldorf ausstellen, weil seine Werke entsprechend relevant, einzigartig, lehrreich und zeitgenössisch sind – würde das dann aufgehen? Im Pressegespräch hat Lars Eidinger betont, dass natürlich jeder sich selbst neu erfinden könne – womit er Recht hat – und sich selbst generell als Künstler bezeichnet, der schon in seiner schauspielerischen Interpretation Welt aufsaugt und auf diese reagiert. In Bezug auf seine Fotografien, aufgenommen mit der Spiegelreflexkamera oder dem Smartphone, und seine Videos mit der Super-8-Kamera betont er das Unterbewusste als Regisseur und die Vermeidung von Ästhetisierung. Vielleicht ist dieser Zwiespalt zwischen intuitivem Zulassen und künstlerischen Entscheidungen – für schwarzweiß oder farbig, die Komposition, für die Präsentation des Abzugs – mit der Grund, dass seine Aufnahmen und Filme kaum aus sich heraus wirken und ein allzu formales Konzept die Transzendenz der Verhältnisse dominiert.
Eidinger fotografiert und filmt auf seinen Reisen auf der ganzen Welt, wobei er sich urbanen Situationen zuwendet. Diese zeigen im Bildzentrum oft einen Widerspruch, sie dokumentieren eine leicht absurde Situation, etwa wenn ein Lattenzaun versucht, Schnee aufzuhalten. Oder wenn in eine flache Anhöhe Betonstufen mit Geländer gesetzt sind oder ein Soldat in Tarnanzug vor einem Billboard mit ähnlicher Musterung sitzt. folglich lassen sich diese Beobachtungen dem Objet trouvé zuordnen, welches das übergeordnete Prinzip von Eidinger ist.
Menschen kommen eher selten vor, dann sind sie alleine und die Gesichter abgewandt. Sie sind in sich zusammengesunken oder liegen auf dem Boden oder sind – als Billigjobber – in entwürdigende Verkleidungen gesteckt. In solchen Aufnahmen dann entfalten die Werke eine innere Notwendigkeit, die vom Respekt gegenüber dem einzelnen Menschen und dem Zustand unserer Zivilisation handelt. Nicht alles in dieser Ausstellung ist gut, aber manches schon.
Lars Eidinger. O Mensch | bis 26.1. | K21 Kunstsammlung NRW Düsseldorf | 0211 838 12 04
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