„Erotische Literatur ist Frauensache. Von Anfang an, seit der Apfelpflückerin Erkenntnis in den Schoß fiel, wollen Frauen wissen, wie die Sache mit der Liebe funktioniert, und teilen es anderen mit.“ Werner Fuld richtet den Lichtkegel der öffentlichen Wahrnehmung mit seiner „Geschichte des sinnlichen Schreibens“ auf die Feuchtgebiete der Literatur. In Zukunft wird man die Anatomie der literarischen Tradition neu definieren müssen. Dass es von der Antike bis zur „Geschichte der O.“ zumeist Frauen waren, die Fantasie und Realismus der erotischen Szene besonders wirkungsvoll ins Bild zu setzen vermochten, ist so neu nicht. Aber Werner Fuld gibt uns eine Vorstellung vom Ausmaß und vom Motiv, das hinter dieser Tatsache steht.
Die Männer haben den weiblichen Anteil der literarischen Produktion bis in unsere Tage hinein verschwiegen. Fuld zeigt in seinem über 500 Seiten starken Werk, dass die Frauen in jeder Epoche zur Feder griffen, um sich am Geheimnis der Liebe zu schaffen machten. Aufklärung war zumeist ihr Motiv, denn wie sollten Frauen in Liebesdingen Erfahrungen sammeln, wenn ihr Leben von der Macht des Patriarchats geregelt wurde. Selbst „Shades of Grey“, der Megaseller innerhalb der weiblichen Leserschaft, liefert seiner Heldin eine Unterweisung in Sachen Beziehungsstrategie. Wobei dieser Roman für Fuld ein reaktionäres Antiaufklärungskonzept enthält. Stimmt, es gibt großartige Texte, deren Wert eben darin zum Ausdruck kommt, dass sie uns ein Wirklichkeitsbild des Menschen liefern, in dem auch seine Lüste und Bedürfnisse enthalten sind. Erotik hat eben etwas mit dem Wahrheitsgehalt der Literatur zu tun, und den kann es nicht geben, wenn nicht derganze Mensch abgebildet werden darf.
Eine „literarische Stellensuche“ unter negativen Vorzeichen betreibt Rainer Moritz mit der Frage: „Wer hat den schlechtesten Sex?“ Ein amüsanter Ansatz, und Moritz vermag unterhaltend zu schreiben. Nur stellt sich die Frage, warum wir uns mit den vermurksten Passagen abgeben sollen, wenn schon die Meisterwerke um ihr Ansehen zu kämpfen haben? An Prügel für stumpfe oder salbungsvolle Beschreibung hat es nie gefehlt, und wie Moritz zeigt, versagen deutsche Autoren bei dieser Übung regelmäßig.
Im Zeitalter des Netzes, ist es wichtig, an die Qualitäten der Literatur zu erinnern. Weil in ihr die Reflexion über die ebenso wunderbare wie skandalöse Konstitution des Menschen ihren Ort hat. Dazu passt, dass Fuld seine Leserschaft mit unglaublichem Wissen über Texte und Autoren beschenkt und uns stets einen Blick in die Epochen werfen lässt, in denen die Texte entstanden sind. Erotische Literatur besteht aus Märchen für Erwachsene, die sich an der Schwelle zur Realität bewegen, deshalb fordern sie auch über die Jahrhunderte hinweg immer wieder so hartnäckig unsere aktuelle Reaktion heraus.
Werner Fuld: „Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens“ | Galiani Berlin | 540 S. | 24,99 €
Rainer Moritz: „Wer hat den schlechtesten Sex?“ | DVA | 240 S. | 17,99 €
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