Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
10 11 12 13 14 15 16
17 18 19 20 21 22 23

12.589 Beiträge zu
3.816 Filmen im Forum

Der Autor und Literaturkritiker Werner Fuld
Foto: privat

Die Apfelpflückerin gibt Ratschläge

30. Juli 2015

Erotische Literatur wird literarisch rehabilitiert – Textwelten 08/15

„Erotische Literatur ist Frauensache. Von Anfang an, seit der Apfelpflückerin Erkenntnis in den Schoß fiel, wollen Frauen wissen, wie die Sache mit der Liebe funktioniert, und teilen es anderen mit.“ Werner Fuld richtet den Lichtkegel der öffentlichen Wahrnehmung mit seiner „Geschichte des sinnlichen Schreibens“ auf die Feuchtgebiete der Literatur. In Zukunft wird man die Anatomie der literarischen Tradition neu definieren müssen. Dass es von der Antike bis zur „Geschichte der O.“ zumeist Frauen waren, die Fantasie und Realismus der erotischen Szene besonders wirkungsvoll ins Bild zu setzen vermochten, ist so neu nicht. Aber Werner Fuld gibt uns eine Vorstellung vom Ausmaß und vom Motiv, das hinter dieser Tatsache steht.

Die Männer haben den weiblichen Anteil der literarischen Produktion bis in unsere Tage hinein verschwiegen. Fuld zeigt in seinem über 500 Seiten starken Werk, dass die Frauen in jeder Epoche zur Feder griffen, um sich am Geheimnis der Liebe zu schaffen machten. Aufklärung war zumeist ihr Motiv, denn wie sollten Frauen in Liebesdingen Erfahrungen sammeln, wenn ihr Leben von der Macht des Patriarchats geregelt wurde. Selbst „Shades of Grey“, der Megaseller innerhalb der weiblichen Leserschaft, liefert seiner Heldin eine Unterweisung in Sachen Beziehungsstrategie. Wobei dieser Roman für Fuld ein reaktionäres Antiaufklärungskonzept enthält. Stimmt, es gibt großartige Texte, deren Wert eben darin zum Ausdruck kommt, dass sie uns ein Wirklichkeitsbild des Menschen liefern, in dem auch seine Lüste und Bedürfnisse enthalten sind. Erotik hat eben etwas mit dem Wahrheitsgehalt der Literatur zu tun, und den kann es nicht geben, wenn nicht derganze Mensch abgebildet werden darf.

Eine „literarische Stellensuche“ unter negativen Vorzeichen betreibt Rainer Moritz mit der Frage: „Wer hat den schlechtesten Sex?“ Ein amüsanter Ansatz, und Moritz vermag unterhaltend zu schreiben. Nur stellt sich die Frage, warum wir uns mit den vermurksten Passagen abgeben sollen, wenn schon die Meisterwerke um ihr Ansehen zu kämpfen haben? An Prügel für stumpfe oder salbungsvolle Beschreibung hat es nie gefehlt, und wie Moritz zeigt, versagen deutsche Autoren bei dieser Übung regelmäßig.

Im Zeitalter des Netzes, ist es wichtig, an die Qualitäten der Literatur zu erinnern. Weil in ihr die Reflexion über die ebenso wunderbare wie skandalöse Konstitution des Menschen ihren Ort hat. Dazu passt, dass Fuld seine Leserschaft mit unglaublichem Wissen über Texte und Autoren beschenkt und uns stets einen Blick in die Epochen werfen lässt, in denen die Texte entstanden sind. Erotische Literatur besteht aus Märchen für Erwachsene, die sich an der Schwelle zur Realität bewegen, deshalb fordern sie auch über die Jahrhunderte hinweg immer wieder so hartnäckig unsere aktuelle Reaktion heraus.

Werner Fuld: „Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens“ | Galiani Berlin | 540 S. | 24,99 €

Rainer Moritz: „Wer hat den schlechtesten Sex?“ | DVA | 240 S. | 17,99 €

THOMAS LINDEN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Wunderschöner

Lesen Sie dazu auch:

Archiv des Verschwundenen
Piuk und Schneider lesen in Köln

Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25

Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25

Um die Wette dichten
Best of Poetry Slam am Comedia Theater

Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25

Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25

Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24

Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24

Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24

Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24

Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24

Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24

Literatur.

HINWEIS