choices: Herr Schmitt, was macht einen erfolgreichen Influencer aus?
Wolfgang M. Schmitt: Ein Influencer ist jemand, der eine große Followerschaft um sich schart und sehr viel Geld damit verdient, dass er Produkte – aus eigenen Linien oder von Unternehmen – bewirbt. Die Plattformen hierfür sind Instragram und Youtube, inzwischen aber auch die Plattformen Tiktok und Twitch. Letzteres wird für mehrstündige Streamings genutzt, was bei uns noch in den Kinderschuhen steckt, aber in Asien bereits extrem verbreitet ist.
Welche gesellschaftlichen Entwicklungen, vielleicht auch Sehnsüchte, stecken hinter diesem Erfolg?
Man kann nur sehr schwer erklären, was einen zum Star macht. Früher sprach man immer vom „gewissen Etwas“, was aber heutzutage nicht mehr unbedingt gilt. Schaut man sich klassische Stars à la Hollywood an, so wirken diese wie aus einer anderen Welt, sind unnahbar. Bei Influencern ist genau das Gegenteil der Fall. Sie suggerieren eine permanente Nähe, stellen sich als bester Freund, beste Freundin, Bruder oder Schwester dar. Zu Beginn waren Influencer in der Regel noch ganz normale Menschen, die einfach ein Youtube-Video gemacht haben oder auch Selfies von diversen Reisen. Der Erfolg ergab sich eher zufällig, weil sie durch User entdeckt wurden. Die Algorithmen, die hinter den genannten Plattformen stecken, haben dann zusätzlich ihren Teil dazu beigetragen, dass sie immer oben auf der Klickliste standen. Die Sehnsucht, die dahintersteckt, ist eigentlich immer noch der amerikanische Traum „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, oder auf Influencer übertragen: „Von der Schülerin zur Besitzerin eines Penthouse in Dubai“. In der Realität hat sich der amerikanische Traum ausgeträumt, kaum jemand erlebt noch eine solche Aufstiegsgeschichte. Die Influencer erfüllen nun diese Sehnsucht. Heute allerdings entstehen Influencer-Karrieren nur noch mit einem gewissen Kalkül und guter Vermarktung: Es stecken Agenturen dahinter und Klicks werden gekauft. Eigentlich handelt es sich inzwischen um Jobs, die man auch nicht mehr für sich macht, man ist angestellt. Der Markt hat sich stark professionalisiert und ein Eindringen von außen ist kaum noch möglich. Nur bei Tiktok gibt es noch diese Option, da hier die Klickzahlen der Vergangenheit keine Rolle beim Ranking spielen, so dass auch ein ganz neuer „Content-Creator“ es beim Ranking auf den ersten Platz schaffen kann.
„Die Sehnsucht, die hinter den Influencern steckt, ist immer noch der amerikanische Traum“
Was sind in Ihren Augen denn die bedenklichen Entwicklungen hinsichtlich kultureller und politischer Beeinflussung?
Das Motto der Influencer lautet „Geld stinkt nicht“, weshalb sie auch in der Regel kein Problem damit haben, mit autoritären Regimen zu paktieren. Ganz stark vertreten ist das bei Reise-Influencern, die gerne mal „moralisch flexibel“ sind, um es so auszudrücken und kein Problem damit haben, völlig unkritisch Werbung für den Tourismus in Dubai, Ägypten und Indien zu machen, ohne auf die gesellschaftlichen und politischen Probleme in diesen Ländern hinzuweisen oder das zu hinterfragen. Hauptsache ist, dass der Werbevertrag lukrativ ist. Auf der anderen Seite haben wir ein absolut unkritisches Publikum, das den Influencern ein solches Vertrauen entgegenbringt, dass deren Werbung nicht hinterfragt wird. Und selbst wenn es mal kritische Kommentare geben sollte, dann werden diese auch gerne mal ganz schnell gelöscht, wie ich bei meinen Recherchen feststellen konnte. Zunehmend werden Influencer aber auch in gesellschaftlich relevanten Themenbereichen aktiv, so werben sie beispielsweise für Apps zu Mental Health oder haben eigene Produktlinien zum Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Sixpack und Kosmetiktipps reichen inzwischen nicht mehr aus.
„Ein absolut unkritisches Publikum“
Wie ist das Phänomen der Influencer entstanden?
Die Entwicklung hin zu Influencern ist natürlich in erster Linie durch die technischen Möglichkeiten entstanden, die wir alle inzwischen durch Smartphones etc. haben. Auf diesem Wege kann jeder von uns Sender sein, auch wenn er kein Fernsehstudio zur Verfügung hat. Diese Demokratisierung der Technik ist ein Grund. Ein weiterer ist die wirtschaftliche Ausgangslage, bei der eine säkulare Stagnation eingetreten ist. Das heißt, die Nachfrage lässt nach, viele sind satt, es ist inzwischen unheimlich schwer, neue Produkte an den Mann, an die Frau zu bringen. Influencer übernehmen hier inzwischen die Funktion klassischer Vertreter, nur kommen sie auf digitalem Wege in die eigenen vier Wände und suggerieren eine Nähe wie bei Freunden oder Familie. Inzwischen gibt es auch keine Trennung mehr von öffentlich und privat: Influencer senden in der Regel aus den eigenen vier Wänden. Dies soll ein scheinbarer Beweis dafür sein, dass hier alles authentisch ist. Den Begriff der Authentizität kann man hier allerdings ad acta legen, weil man hier kaum noch unterscheiden kann, was denn nun der Person des Influencers entspricht und was inszeniert ist. Ich denke, dass bei vielen Influencern inzwischen auch nicht mehr trennbar ist, wer sie vor oder hinter der Kamera sind. In den meisten Fällen ist es wohl recht nah an dem, was sie auch real sind.
Welche Optionen gibt es, Influencer zu kontrollieren?
Natürlich sind die diversen Plattformen auch regulatorisch tätig, aber das betrifft natürlich nur Härtefälle. Ansonsten kann eine Kontrolle nur schwer stattfinden, denn sie sind ja nur auf Follower und Klicks angewiesen. Die werbenden Inhalte werden als solche gekennzeichnet, was in Deutschland ja auch verpflichtend ist. Dies führt aber nicht zu einer Distanzierung der Follower, denn sie schauen die Videos nicht obwohl, sondern wegen der Werbung an. Die beste Kontrolle ist eigentlich, Gegenwelten aufzumachen, denn ein aufgeklärter Bürger ist weniger anfällig. Es ist wichtig, dass Elternhaus und Schulen zeigen, dass die analoge Welt viel wichtiger ist, dass es andere Erfahrungsräume gibt. Ich bin in diesem Sinne sozialisiert und habe bei den sehr intensiven Recherchen zum Buch gemerkt, dass ich zunehmend meine Konzentration verloren habe, die Aufmerksamkeitsspanne nachließ und ich auch insgesamt nervöser wurde. Ich war sehr froh, als ich mich da wieder rausziehen konnte.
„Den Begriff der Authentizität ad acta legen“
Sie sind von Haus aus Literatur- und Filmkritiker. Was hat Sie selber an dem Phänomen so interessiert, dass Sie gemeinsam mit Ole Nymoen ein Buch darüber geschrieben haben?
Der Filmkritiker Siegfried Kracauer hat Filme als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet, und tatsächlich war es auch für uns die Ausgangsüberlegung, dass somit auch Influencer-Videos eine Aussage über die Gesellschaft machen. Hinzu kam die Tatsache, dass es sich um ein globales Phänomen handelt und wir uns zudem die Frage gestellt haben, was es auch über die Wirtschaft aussagt. So wird beispielsweise bei fast allen Influencern das klassische Erwerbstätigkeitsleben als etwas dargestellt, aus dem man unbedingt ausbrechen muss – der Begriff des Hamsterrads fällt hier häufig. Für uns war besonders die Wechselseitigkeit von Kultur und Wirtschaft interessant, die an diesem Phänomen gut abgelesen werden kann. Und eines kann ich Ihnen versichern: Wir sind alle schon durch Influencer beeinflusst, selbst wenn wir ihnen nicht aktiv folgen. Aber das können Sie auch an den jungen Politiker sehen, die jetzt neu in den Bundestag eingezogen sind und auf den diversen Plattformen Selfies posten, auf denen sie vor einer Sitzung eben noch mal ins Fitnessstudio gehen.
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