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Die Medien haben sich gewandelt
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Du bist, was du klickst

25. Januar 2022

Meinungsbildung im digitalen Raum – Teil 1: Leitartikel

Es ist nicht so, als hätte es vor dem Internet-Zeitalter keine Fake-News gegeben. Seitdem der Mensch spricht, redet er Unsinn. Die Schrift manifestierte auch den Humbug, über Hörfunk und Fernsehen erhielt er dann massiv Einzug in die eigenen vier Wände. Heute, im Internetzeitalter, erwächst Desinformation gar zur nachhaltigen Lebensrealität. Immerhin: Was für Humbug gilt, gilt auch für Fakten. Und die finden sich zum Glück ebenso allerorten. Nur: „Alle Informationen sind da, öffentlich zugänglich, aber niemand findet sie mehr. Das war früher eine erprobte Strategie von Geheimdiensten, Desinformation durch Überinformation“, meint PARTEI-Bundesvorsitzender Martin Sonneborn (im Buch „Gysi vs. Sonneborn“). Über die Macht der Desinformation informierte uns Trump-Stratege Steve Bannon 2018 höchst selbst, als er die Medien als die eigentliche Opposition bezeichnete: „And the way to deal with them is to flood the zone with shit.“

Lizenz zum Streamen

Früher war eben alles besser: Jahrzehntelang waren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Aushängeschild seriöser Berichterstattung. Also, seriös insofern, als dass sie weniger „Shit“ als andere absonderten und absondern und sich dafür bis heute regelmäßig selbst abfeiern. Erst zuletzt lobhudelte Klaus Kleber seine Redaktion bei seinem Abschied als „engagiert und kritisch“. Raum für engagiert kritische Nachfragen blieb auch hier mal wieder nicht. Zugleich erwies sich das audiovisuelle Nachkriegskonzept aus Zerstreugut und Schulfernsehen lange Zeit als erfolgreich – vor allem aufgrund seiner Monopolstellung. Dann aber setzte es mit dem Privatfernsehen neue Impulse, und wenig später surften wir alle schon durchs World Wide Web. Die Maus ersetzte die Fernbedienung und der Zuschauer hieß fortan User, womit er aus seiner passiven Haltung heraustrat und Empfänger und Sender zugleich wurde. Jeder hat nun die Lizenz zum Streamen, jeder kann jetzt Journalist sein.

Anregen statt aufregen

Das Internet macht uns engagierter in der Meinungsbildung, und das ist ja an sich begrüßenswert für unser demokratisches Grundverständnis. Blöd nur, wenn derlei freiheitliches Engagement allerorten in Groll, Trotz und Verhärtung mündet. Blöd nur, wenn dabei einfache Sprache zum Standard erwächst. Blöd nur, wenn bei Angebotsvielfalt das Rezeptionsverhalten spürbar abstumpft: Erst gab es drei Programme, dann gab es hunderte – und heute nutzen viel zu viele nur noch ein Programm: Telegram. Meinungsbildung, die auf plumper Schlagzeile und purer Behauptung basiert? Kennen wir längst. Doch die traurige Errungenschaft aus dem Printbereich geht jetzt, ungleich vehementer, viral. Flood the zone with shit!

Dabei gibt es online so viele konstruktive Formate – sie sind bloß, wie das meiste, was auf Vernunft aufbaut, weniger präsent. Wer will, der findet Moderatoren, die nicht bloß influencen, manipulieren und spalten, sondern aufklären. Sei es ein Rezo, der politische Missstände engagiert und knackig verpackt in den Äther donnert. Oder wenn uns Podcast-Formate wie die „Lage der Nation“ die relevanten Themen der Woche anschaulich, unabhängig und lebendig aufbereiten. Online-Konzepte, die Werkzeuge und ursprüngliche Ansprüche des klassischen Journalismus nutzen und in die digitale Welt übertragen. Konzepte, die anregen statt aufregen. Der User selbst hat die Wahl. Eine Wahl, die Kompetenz erfordert. Medienkompetenz. Die Eigenverantwortung in der Kanalwahl. Die breite Nutzung an Informationskanälen. Die Bereitschaft zum Diskurs. Wacher Blick statt Urmisstrauen. Du bist, was du klickst.


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Hartmut Ernst

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