choices: Frau Schiegl, welche Risiken verbinden sich mit kreativem Tun?
Magda Schiegl: Ich sehe keine Risiken, die per se mit Kreativität verbunden wären. Eine Idee für etwas Neues führt ja nicht unmittelbar zur Anwendung. Das Risikopotential liegt in der Bewertung. Das bekannteste Beispiel: Darf ich eine Atombombe bauen oder nicht?
Jenseits von ethisch-moralischen oder wirtschaftlichen Fragen muss doch zunächst das Zerstörungspotential der Bombe geklärt sein.
So etwas kann man relativ einfach berechnen oder doch zumindest abschätzen. Dazu gibt es mathematische Formeln. Allerdings braucht man realitätsnahe Modelle und Annahmen, auf die sich die Berechnungen stützen können. Erfüllt „meine Formel“ diese Anforderungen nicht, mache ich einen – je nach Anwendung – unangenehmen bis verheerenden Fehler. Um dieses Risiko zu minimieren, rechnet man sein Modell immer wieder unter verschiedenen Annahmen durch. Im Journalismus verlassen Sie sich ja auch nicht auf nur eine Quelle.
Das hört sich nach Handwerk an. Wo bleibt da die kreative Mathematik?
Mathematik ist für mich in der Tat Handwerkszeug, denn ich bin Physikerin. PhysikerInnen sind an der effektiven Lösung von Problemen interessiert, weniger am mathematischen Formalismus an sich. Unsere Kreativität liegt im kreativen Umgang mit Mathematik. Unsere Tätigkeit kann man vielleicht mit dem Malen eines abstrakten Bildes vergleichen. Nicht in dem Sinne abstrakt wie „Konkrete Kunst“, eher im Stil des Blauen Reiters und der frühen Expressionisten. Man abstrahiert die Wirklichkeit, sucht nach Aspekten, die für ein mögliches Risiko relevant sind. Es ist die Kunst, Unwichtiges wegzulassen und die wichtigen Zusammenhänge zu betonen.
Eins Ihrer Modelle setzten Sie als Monte-Carlo- Simulation um.
Das ist eine Computersimulation, die Zufallszahlen erzeugt. Die Verteilung der Zahlen wird vorgegeben. Die Simulation wird zur Analyse größerer Komplexe angewendet, deren Einzelteile auf unterschiedliche Art dem Zufall unterliegen. Diese Methode verwendet man beispielsweise bei der Prognose von Bank- oder Versicherungsbilanzen. Eine Bilanz besteht im Wesentlichen aus Summationen und Subtraktionen verschiedener Positionen. Manche hängen vom Zufall ab wie z. B. der Marktwert von Aktien oder von Schuldverschreibungen. Man simuliert viele dieser Zufallsprozesse und erhält dann nicht ein Ergebnis, sondern viele verschiedene, aus denen Sie die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses ableiten können, z. B. die Insolvenz der Bank im nächsten Jahr.
Daher Monte-Carlo-Simulation.
Der Name leitet sich tatsächlich von der Spielbank ab, vom Zufall und dem Risiko – „Konkrete Wirklichkeit“: siehe letztes Jahr.
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