choices: Herr Leggewie, einmal angenommen, Sie hätten wirklich Macht im Lande. Wohin würden Sie die Umweltpolitik von NRW lenken?
Claus Leggewie: Mein Mantra ist schon länger, dass das Industrieland NRW über genügend Potential und Phantasie verfügt, um eine massive Politik der Konversion zu betreiben. Das heißt etwa, Opel nur retten, wenn damit der Einstieg in eine intelligente Mobilitätspolitik verbunden ist. Konjunkturpakete so schnüren, dass Energiesparen und Energieeffizienz ganz nach oben rücken. In der Energiepolitik haben wir aus klimatischen Gründen nur noch fünf bis zehn Jahre Zeit, um umzusteuern. NRW könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Viele Unternehmen setzen noch auf fossile Energien, aber viele haben alternative Lösungen in der Schublade.
Von Klimakrise und Finanzkrise ist im bisherigen NRW-Wahlkampf kaum etwas zu spüren.
Es ist symptomatisch, wie wenig die Eliten nicht nur hierzulande die Krisen der globalen Industriegesellschaft thematisieren. Das Kleinklein und die politischen Spielchen in NRW unterscheiden sich da nicht. Offensichtlich findet die Politische Klasse aus psychologischen wie aus strukturellen Gründen keinen Zugang zur veränderten Welt.
Bundesthemen wie Hartz IV spielen doch eine Rolle ...
Aber wir tun dabei so, als könnte man die Wucht der Globalisierung mit einer bereinigten Sozialpolitik abfangen. Die Diskussion läuft gleich zweifach schräg. Zum einen hat die populistische Kampagne der FDP das Thema auf einen Klassenkampf von oben reduziert. Ebenso absurd ist die links-sozialdemokratische Illusion, eine reine Umverteilung würde durch die Krise retten. Die massive Massenarbeitslosigkeit dauert schon seit über 30 Jahren an.
Das Ausblenden dieser Wirklichkeit haben Sie zusammen mit Harald Welzer als „kognitive Dissonanzen“ beschrieben.
Damit ist gemeint, wie schmerzfrei man der Diskussion um die wirklichen Probleme ausweicht. Man betet das System gesund, oder man ignoriert die Sachlage. Herauskommen Pseudo-Lösungen wie die Abwrackprämie. Aber auch das politische Publikum hängt an der Nabelschnur der Illusionen.
Es führt nichts an der von Ihnen geforderten „Kulturrevolution des Alltags“ vorbei?
In der Tat, das ist die harte Botschaft. Wir müssen ohne moralischen Zeigefinger zur Erkenntnis beitragen, dass der König nackt ist und der Wohlfahrtsstaat dringend umgebaut werden muss. Das wird nicht per Verbot oder Dekret funktionieren. Die „Menschen draußen im Lande“ müssen eine eigene Motivation entwickeln, um ihren Lebensstil zu ändern. Dazu bedarf es zur Unterstützung allerdings auch der richtigen politischen Mehrheiten, die eine Selbstveränderung mit kluger Gesetzgebung und vernünftigen Marktanreizen unterstützt.
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