choices: Herr Subklew, den Begriff duales System kennt so gut wie jeder. Was genau sind die dualen Systeme?
Axel Subklew: Grundlage für die Arbeit der dualen Systeme ist das Verpackungsgesetz. Nach dem Gesetz müssen alle Verpackungen, die in Deutschland in Umlauf gebracht werden und sich an den privaten Endverbrauch richten, am dualen System teilnehmen. Die dualen Systeme organisieren bundesweit die Sammlung, Sortierung und Verwertung gebrauchter Verkaufsverpackungen für Industrie und Handel und sind dafür verantwortlich, dass die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Verwertungsquoten erreicht werden. Mit der Initiative Mülltrennung wirkt informieren aktuell zehn privatwirtschaftlich organisierte duale Systeme Verbraucher*innen über den Sinn und Zweck der getrennten Sammlung von Verpackungsabfällen. Gemeinsam wollen sie aufklären, mit Irrtümern und Müllmythen aufräumen und zum Mitmachen motivieren. Denn nach wie vor ist der Anteil an Restmüll in der Gelben Tonne und im Gelben Sack zu hoch und erschwert oder verhindert das Recycling wertvoller Rohstoffe.
„Die dualen Systeme sind nicht für alle Plastikabfälle verantwortlich, sondern nur für Verpackungen aus Kunststoff“
Für welche Abfälle sind die dualen Systeme zuständig? Um welche Mengen geht es?
Die dualen Systeme sind für Verpackungsabfälle zuständig, die in Privathaushalten oder sogenannten „gleichgestellten Anfallstellen“, zum Beispiel Restaurants, Hotels oder Behörden, anfallen. Das umfasst alle Verpackungen aus Glas, Papier, Metallen, Kunststoffen und aus sogenannten Verbundstoffen, zum Beispiel Getränkekartons. Wichtig ist, hier geht es wirklich um Verpackungen, das heißt, die dualen Systeme sind zum Beispiel nicht für alle Plastikabfälle verantwortlich, sondern wirklich nur für Verpackungen aus Kunststoff. Diese Unterscheidung ist häufig nicht bekannt und das führt zu Missverständnissen. Insgesamt, also über alle Materialfraktionen hinweg, sammeln die dualen Systeme etwa 6,2 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle pro Jahr. Über die Gelben Tonnen und Gelben Säcke werden jährlich ca. 2,6 Mio. Tonnen sogenannte Leichtverpackungen in Deutschland gesammelt, das sind Verkaufsverpackungen aus Kunststoff, Metall und Verbund. Also der Joghurtbecher, die Hundefutterdose oder auch der Milch- oder Saftkarton. Das entspricht durchschnittlich 31 Kilogramm pro Einwohner*in im Jahr. Da sind aber auch die Fehlwürfe mit eingerechnet.
„Wir möchten möglichst eine breite Bevölkerungsschicht erreichen“
Schätzungen zufolge gehören 40 bis 60 Prozent des Mülls in den Gelben Säcken dort nicht hinein. Warum fällt richtiges Mülltrennen vielen so schwer?
Wir gehen im Durchschnitt eher von 30 Prozent falsch entsorgtem Abfall in der Gelben Tonne und dem Gelben Sack aus. Das ist natürlich zu viel. Aufklärung ist daher eine sehr wichtige und permanente Aufgabe. Aus dem Grund haben die dualen Systeme die Initiative Mülltrennung wirkt ins Leben gerufen. Wir erklären, wie richtige Mülltrennung funktioniert, und zeigen, wie wir alle mit richtiger Mülltrennung einen effektiven Beitrag zum Klima- und Ressourchenschutz leisten können. Dabei steht für uns besonders die jüngere Generation im Fokus – sie prägt die Zukunft und ist wichtiger Multiplikator für das Thema. Ergänzend läuft unsere Kommunikation daher unter anderem über Facebook, Instagram und nun auch TikTok. Zusätzlich arbeiten wir mit Influencern zusammen, um auch diejenigen zu erreichen, die sich mit dem Thema Mülltrennung nicht so viel beschäftigen. Das gelingt uns in der Zielgruppe der unter 30-Jährigen über Social Media besser als über TV oder Radio, die wir aber natürlich genauso bedienen. Denn wir möchten ja möglichst eine breite Bevölkerungsschicht erreichen.
Wie viel Recycling findet außerhalb der dualen Systeme statt?
Unser Job sind die Verpackungsabfälle aus den privaten Endverbraucherhaushalten – Gelbe Tonne, Gelber Sack, die Glas- und Papiersammlung. Die machen aber nur einen Teil der Abfälle aus privaten Haushalten aus. Dazu gehören zum Beispiel auch sonstige Papierabfälle wie Druckerzeugnisse, auch sie werden flächendeckend erfasst und verwertet. Das gilt in weiten Teilen auch für Bioabfälle. Hinzu kommen kleine aber wichtige Ströme wie Elektroschrott, der über das kommunale System der Wertstoffhöfe und über den Handel gesammelt wird. Die Produktrücknahme von Batterien und Akkus erfolgt unter anderem in Supermärkten. Außerdem gibt es natürlich Pfandsysteme, beispielsweise für Einweg-Getränkeflaschen, die einem hochwertigen Recycling zugeführt werden.
Ein ganz eigener Bereich sind Gewerbe- und Industrieabfälle. Deren Entsorgung und Verwertung wird durch die Gewerbeabfallverordnung geregelt.
„Die deutlich höheren Anforderungen ab 2022 haben Investitionen in der Technik ausgelöst“
Was hat sich durch das neue Verpackungsgesetz geändert und was ändert sich ab 2022?
Das Verpackungsgesetz, das aus der Verpackungsverordnung von 1991 entwickelt wurde, ist 2019 in Kraft getreten. Es verpflichtet die dualen Systeme dazu, aktuell mindestens 80 Prozent aller bei ihnen beteiligten Glas-, Weißblech- und Aluminiumverpackungen, 85 Prozent der Verpackungen aus Papier, Pappe und Karton und rund 60 Prozent der Kunststoffverpackungen zu recyceln. Ab 2022 steigt diese Quote sogar auf 63 Prozent. Wir haben vor kurzem die aktuellen Zahlen bekommen, danach wurden 2020 60,6 Prozent der beteiligten Kunststoffverpackungen einem Recycling zugeführt. Die deutlich höheren Anforderungen ab 2022 haben außerdem weitere Investitionen in der Technik ausgelöst. Wir arbeiten jetzt mit sehr großen Sortieranlagen, die auf dem letzten Stand der Technik sind. Und diese wird permanent weiterentwickelt. In der gesamten Wertschöpfungskette, vom Hersteller bis hin zum Endverwerter – alle haben die Impulse aufgenommen. Die Quotensteigerung ab 2022 bedeutet eine massive Anstrengung für alle Beteiligten. Entscheidend ist dabei auch das Engagement von privaten Endverbraucher*innen. Sie gilt es zu überzeugen, zu informieren und zum Mitmachen zu motivieren. Denn die beste recyclingfähige Verpackung nutzt nichts, wenn sie dann im Restmüll landet oder noch schlimmer – in der Landschaft.
„Damit dieser Prozess funktioniert, ist es wichtig, dass uns die Verbraucher*innen unterstützen“
Es gibt auch die Auffassung, Müll zu trennen bringe nichts, weil doch alles in der Verbrennungsanlage lande. Legende oder ein wahrer Kern?
Das ist in der Tat eine hartnäckige Legende. Aber an diesem Mythos ist nichts dran. Tatsächlich ist es so, dass nur der Restmüll aus der grauen oder schwarzen Tonne – häufig unsortiert – in die Müllverbrennungsanlage geht. Dagegen werden Abfälle aus der Gelben Tonne und dem Gelben Sack in spezielle Sortieranlagen gebracht. Bei der Sortierung holen wir alles raus, was für die Herstellung neuer Produkte verwendet werden kann, und das ist derzeit mehr als die Hälfte. So gelangen die Verpackungsabfälle in einen Wertstoffkreislauf. Aber wichtig bleibt: Je besser die Haushalte trennen, desto mehr Wertstoffe aus Verpackungsabfällen bleiben dem Kreislauf erhalten. Verpackungsabfall, der in der Restmülltonne landet, wird tatsächlich verbrannt und die Wertstoffe gehen unwiederbringlich verloren. Umgekehrt erschwert Restmüll, der falsch in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack gelangt, den Sortierprozess erheblich und kann das Recycling unmöglich machen.
In den vergangenen rund 15 Jahren ist vor allem die Plastikmüllbelastung der Umwelt in den Fokus geraten. Müssen Konsumenten fürchten, dass die Chipstüte von der gelben Tonne letztlich in den Magen einer Schildkröte wandert?
Grundsätzlich gilt: Hier in Deutschland korrekt erfasste Abfälle landen nicht im Meer. In der Gelben Tonne oder im Gelben Sack entsorgte Verpackungen gelangen in hochmoderne Sortieranlagen. Dort werden sie in die verschiedenen Materialarten sortiert, also auch in unterschiedliche Kunststoffarten. Danach geht’s weiter in spezialisierte Verwertungsanlagen. So können am Ende aus den Verpackungen neue Produkte entstehen. Damit dieser Prozess funktioniert, ist es natürlich wichtig, dass die Verbraucher*innen uns mit ihrer Mülltrennung zuhause unterstützen. Also: Wer seine Chipstüte richtig in der Gelben Tonne oder im Gelben Sack entsorgt, verhindert, dass sie im Magen einer Schildkröte endet! Sondern hilft im Gegenteil dabei, durch richtige Mülltrennung Ressourcen und Klima zu schonen.
VERBRANNTES GUT - Aktiv im Thema
krake.koeln | Die Initiative veranstaltet regelmäßig Aufräumaktionen am und um den Rhein.
aktion-biotonne-deutschland.de | Die Aktion wirbt für mehr Biotonnen, denn eine riesige Menge kompostierbarer Küchenabfälle landet noch immer im Müll.
jungestadtkoeln.de/projekte/kölncycle | Der Upcycling-Workshop sammelt und verarbeitet in der Stadt gesammelte Schrotträder.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zum Müll mit guten Vorsätzen
Intro – Verbranntes Gut
Die deutsche Müllflut
Deutschland ist Spitzenreiter bei der Produktion von Verpackungsmüll – Teil 1: Leitartikel
Weniger Müll ist auch eine Lösung
Zero Waste bald auch in Köln? – Teil 1: Lokale Initiativen
Willkommen in der Komfortmüllzone
Alternativen zur Wegwerfkultur – Teil 2: Leitartikel
„Menschen können Nützlinge sein“
Isabel Gomez von Cradle to Cradle e.V. über Ökostoffe und Kreislaufwirtschaft – Teil 2: Interview
Aus Alt mach Neu
Hilfe zur Selbsthilfe: Das Reparatur-Café in Wuppertal-Heckinghausen – Teil 2: Lokale Initiativen
Kleider aus Milchfasern
Neue Möglichkeiten der Nachhaltigkeit – Teil 3: Leitartikel
„Müllvermeidung nicht auf Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen“
Elena Schägg von der Deutschen Umwelthilfe über Upcycling, Recycling und Müllvermeidung – Teil 3: Interview
Auf den Ruinen der Konsumgesellschaft
Die nachhaltige Werkstatt „Tanz auf Ruinen“ in Dortmund – Teil 3: Lokale Initiativen
Meilenstein Richtung Zero Waste
In Slowenien steht die modernste Müllverwertungsanlage Europas – Europa-Vorbild: Slowenien
Plastik-Perversion
Die verheerenden Auswirkungen des Plastikproblems – Glosse
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 1: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 2: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 1: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 2: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 3: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 1: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung