Rabia – Der verlorene Traum
Frankreich, Deutschland, Belgien 2024, Laufzeit: 94 Min., FSK 12
Regie: Mareike Engelhardt
Darsteller: Megan Northam, Lubna Azabal, Natacha Krief
>> www.alpenrepublik.eu/rabia.html
Bedrückendes Drama über eine Flucht in den IS
Des Mannes Acker
„Rabia – Der verlorene Traum“ von Mareike Engelhardt
Frankreich 2014. Die 19-jährige Jessica (Megan Northam, „Passagiere der Nacht“) wohnt bei ihrem Vater und arbeitet als Pflegerin in einem Krankenhaus. Der Job ist fordernd, daheim herrscht Tristesse. Doch es gibt einen Lichtblick: Gemeinsam mit ihrer Kollegin Laïla (Natacha Krief) will sich Jessica heimlich nach Syrien absetzen und dem Islamischen Staat anschließen. Und dann, schneller als erwartet, liegen auch schon die Flugtickets vor: Noch ein letztes Gebet an Allah, und die beiden sitzen im Flugzeug, der Sonne so nah wie nie zuvor, und jubeln: „Und das ist erst der Anfang!“ Die Sonne wird ihnen bald der einzige Trost bleiben, oben auf dem Flachdach des Hauses, in dem die zwei jungen Frauen mit anderen Heiratswilligen aus aller Welt untergebracht werden. Zuerst herrscht Aufbruchsstimmung. Doch „Madame“ (Lubna Azaba), Leiterin des Hauses, macht schon bald deutlich: Das hier ist keine Jugendherberge! Persönliches Hab und Gut wird konfisziert, die Neuankömmlinge streng befragt. Doch Jessica gibt sich taff und kämpferisch, unterwirft sich stolz dem Willen Allahs. Bis sie feststellen muss, dass sie nicht als Freiheitskämpferin geladen ist, sondern als rechtlose Gebärmaschine: des Mannes Acker.
Regisseurin Mareike Engelhardt hat bei der Stoffentwicklung zu ihrem Spielfilmdebüt mit zahlreichen Rückkehrerinnen aus verschiedenen Nationalitäten und sozialen Schichten gesprochen. Frauen, die ihr von ihrer Motivation erzählt haben, dem Westen den Rücken zu kehren. Von ihrer Sehnsucht, ihrer Hoffnung, ihrer Naivität – und von der Desillusion. Davon, was ihnen beim IS widerfahren ist. Die gewonnenen Eindrücke dienen als Grundlage für das Drehbuch zu diesem Drama. Engelhardt befasst sich darin mit der Faszination des Bösen. Sie führt Rückschlüsse von jungen Menschen, die sich dem IS anschließen, hin zu ihren eigenen Großeltern, die sich als junge Menschen der SS angeschlossen hatten. Sie spürt den Folgen der Orientierungslosigkeit der Jugend nach und den perfiden Institutionen, die Orientierungssuchende für sich vereinnahmen. Am Beispiel von Jessica offenbart sich ein System, in dem Frauen Frauen erniedrigen, in dem Opfer gebrochen und zu Tätern werden. Ein menschenverachtendes System mit religiösem Überbau.
Das Drama spart Jessicas Vorgeschichte aus: Ihr unerfülltes Leben in Frankreich wird eingangs in fünf Minuten abgehandelt – es spiegelt eher Frust als existenzielles Leid: fehlende Anerkennung, fehlende Kommunikation, soziale Kälte. Engelhardt richtet ihren Fokus auf die Zeit danach. Wofür sich die 94 Minuten des Dramas dabei zu wenig Zeit nehmen, sind manche Brüche, die die Protagonistin durchlebt. Opfer, Täter, Opfer – die Wandlungen Jessicas vollziehen sich vor allem nach hinten hinaus mal zu abrupt, mal fehlt eine zeitliche Einordnung. So vermag man der Protagonistin nicht immer zu folgen – emotional und im Hinblick auf ihre Motivation. Wenn die Dramaturgie zu sprunghaft ist. Ansonsten aber vermögen Engelhardt und ihre Hauptdarstellerin beeindruckend von Jessicas Innenleben zu erzählen. Über Blicke, Worte, Gesten erleben wir ihre Verlorenheit in der Freiheit, ihre von leichten Zweifeln getrübte Aufbruchsstimmung, ihre verklärte göttliche Unterwerfung, die kollektive Erfüllung in Gebet und geteilter Begeisterung. Und den ersten harten Bruch, wenn sich Madame erst mütterlich gibt und dann verlangt: „Spreiz deine Beine“, um Jessicas Jungfräulichkeit zu überprüfen.
Insgesamt also erzählt Engelhardt bedrückend gelungen von Manipulation und Vergewaltigung, von Folter und Verrat, von Selbstaufgabe, Unterwrfung und Moralverfall. Von einer Verirrung in ein perfides System. Von einer Abwärtsspirale. Relevant. Brisant. Schmerzvoll.
Alles für die Musik
Publikumspremiere von „Köln 75“ im Cinenova – Foyer 03/25
Schlechte Zeiten?
Merz im März und ernste Kost im Kino – Vorspann 03/25
Mit Trauer umgehen
„Poison – Eine Liebesgeschichte“ im Odeon – Foyer 02/25
Gute Zeiten
Wie lang darf ein Film sein? – Vorspann 02/25
Bittersüße Dystopie
„Ein schöner Ort“ in der Aula der KHM – Foyer 01/25
Zeit-Fragen
Symposium der dokumentarfilminitiative im Filmhaus – Foyer 01/25
Für immer hier
Start: 13.3.2025
Köln 75
Start: 13.3.2025
Das Licht
Start: 20.3.2025
The Last Showgirl
Start: 20.3.2025
I Like Movies
Start: 27.3.2025
The End
Start: 27.3.2025
Parthenope
Start: 10.4.2025
Oslo Stories: Liebe
Start: 17.4.2025
Quiet Life
Start: 24.4.2025
Volveréis – Ein fast klassischer Liebesfilm
Start: 1.5.2025
Oslo Stories: Träume
Start: 8.5.2025
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Oslo Stories: Sehnsucht
Start: 22.5.2025
Das Kanu des Manitu
Start: 14.8.2025
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Tron: Ares
Start: 9.10.2025
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24