Es gibt 5 Beiträge von hanslucas
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01.07.2014
Mit Filmen wie „Schwere Jungs“ und „Wer früher stirbt ist länger tot“ hat sich Marcus H. Rosenmüller einen Namen als „neuer Heimatfilmer“ gemacht. Frech und jung kam diese Genre auch in den bisherigen Filmen seiner Coming-of-Age-Trilogie daher: In „Beste Zeit“ (2007) und „Beste Gegend“ (2008) zeigte er das Erwachsenwerden seiner beiden Protagonistinnen Kati (Anna Maria Sturm) und Jo (Rosalie Thomass), die sich mit Liebessorgen oder Abistress plagten und auf den Feldern Oberbayerns an Fernweh litten. Im Trilogie-Abschluss „Beste Chance“ geht es dagegen auf Reisen.
Trubel in Tandem: Eigentlich herrscht stressiger Alltag. Kati befindet sich mittlerweile im Architekturstudium und steckt mitten in der Vorbereitung auf ihre Prüfungen. Dann erhält sie von ihrer Freundin Jo panische Anrufe aus Indien. Schnell packt Kati ihren Rucksack und reist nach Indien, um nach Jo zu schauen. Aufgebracht reisen auch die Väter von Kati und Jo hinterher, um ihre Töchter zu suchen. Während die bayrischen TouristInnen versuchen, in der Ferne zurecht zukommen, ist Jo längst wieder zurück in Tandem.
„Beste Zeit“ oszilliert zwischen Heimatfilm und Roadmovie. Mit fast volkstheatralischen Zoten schildert Rosenmüller den Trubel zwischen den Freunden in Tandem und lässt Hektik in die bajuwarische Eintracht einkehren. Das Abenteuer in Indien unterhält dagegen mit zuweilen klischeebeladenen Bildern, unmotivierten Subplots und bewährtem Slapstick. Schön ist aber, wie die Zeit in dem nun schon dritten Film sichtbar wird, denn dieser Jo-Kati-Zyklus ist nah am Leben seiner beiden Protagonistinnen dran. Wenn man so will: Der bayrische „Boyhood“.
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23.06.2014
FotografInnen sind die perfekten FilmprotagonstInnen. Sie figurieren für das Ringen eines Films, den Geist einer Zeit einzufangen. Juliette Binoche versuchte in der Kundera-Adaption „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ das demokratische Aufbäumen des Prager Frühlings festzuhalten. David Hemmings steht in Antonionis „Blow Up“ als Mode-Fotograf sinnbildlich für das Lebensgefühl der Swinging Sixties in London.
Auch in „Shanghai Shimen Road“ des jungen Regisseurs Haolun Shu steht ein Fotograf im Mittelpunkt. Shanghai, Sommer 1989: Der 17-jährige Xiaoli (Ewen Cheng) hat eine Kamera von seiner Mutter geschenkt bekommen und möchte nun Chinas Cartier-Bresson werden. Fasziniert hält er damit seine Umwelt fest. Zusammen mit seinem umsichtigen Großvater lebt er in einem alten Backsteinhaus, den sogenannten „Shikumen“ in Shanghai. Xiaolis Mutter ist in den USA, er soll ihr demnächst nachkommen. Vor der Kulturrevolution gehörte das Gebäude der Familie; jetzt sind sie hier mit zusammen mit einigen Arbeiterfamilien einquartiert. Darunter ist auch die hübsche Fabrikarbeiterin Lanmi (Xufei Zhai), für die Xiaoli heimlich schwärmt. Dann kommt es zu den Studentenprotesten in Beijing. Mit seiner Klassenkameradin Lili lernt er das spannende Leben außerhalb seiner Straße, den Wandel Chinas und westliche Lebensformen kennen.
Haolun Shus autobiographisch geprägter Film hält das Erwachsenwerden inmitten politischer Aufbruchstimmung fest. Umso melancholischer erscheint das, wenn die politischen Proteste nur aus der bedrückenden, provinziellen Peripherie wahrgenommen wird, wo Xiaoli das Geschehen im Fernseher verfolgt, ansonsten aber Englisch büffelt und diskret für die Nachbarstochter Lanmi schwärmt. Von einer leisen Politisierung wird er dann aber erfasst, wenn er zusammen mit der Mitschülerin Lili in der Schule aufmuckt. Neben der Aufbruchstimmung der Jugend ist es der Wandel Chinas und Shanghais, den der Film wehmütig beschreibt. Immer wieder werden die Szenen von Schwarzweißfoto-Montagen unterbrochen, die das Alte festhalten. Im kleinen der Gasse spiegelt sich die urbane Veränderung im Großen. Denn heute ist Shanhgai eine der chinesischen Städte, in der die Gentrifizierung boomt. Das einstige Stadtviertel mit den „Shikumen“ liegt dagegen Brach. „Shanghai Shimen Road“ erhebt eine nostalgische Stimme für dieses Entschwundene, das nur Fotos festhalten können. Denn erst wenn die Zeit schnell vor sich her taumelt, evozieren Fotos etwas von Wahrheit.
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10.03.2014
Was für eine erdrutschartige Katastrophe so ein paar Mausklicks für die kleinbürgerlich Existenz ausmachen können: Derek macht mit seiner Frau eine schwere Ehekrise durch. Ihr gemeinsames Kind ist gestorben. Statt gemeinsam mit seiner Frau zu trauern, ist Derek ständig auf Geschäftsreise. Seine Frau sucht allein gelassen Trost in einem Trauer-Chatforum. Später bemerkt das Ehepaar, dass sie aufgrund des Trauer-Chatpartners gehackt worden sind. Ihr Bankkonto ist ausgeplündert. Das ruft den Web-Privatdetektiv Mike auf den Plan, dem wiederum entgeht, dass sein Sohn via Internet seinen Mitschüler Ben mobbt, bis dieser sich deswegen das Leben nimmt und damit vor allem seinen Vater in tiefe Trauer und Gewissensbisse stürzt. Währenddessen versucht die ehrgeizige TV-Journalistin Nina Dunheim im Pornochat Kontakt mit dem jungen Kyle aufzunehmen, um eine Story über den Pornoring im Internet zu bekommen.
Eigentlich ist es ja zunächst freudig zur Kenntnis zu nehmen: Endlich hat sich ein Film der Entfremdung des digitalen Lebens gewidmet. Regisseur Henry Alex Rubin nähert sich dem Thema in Form eines Episodendramas wie „L.A. Crash“ oder „Babel“. Das ist ein bewährte Erzählform. Die Mobbing-Episode wäre es jedoch sicherlich wert gewesen, intensiver geschildert zu werden. So ist „Disconnect“ ein babylonisches Kaleidoskop über das Internetzeitalter geworden, das vor allem medienkritisch um sich schägt: Melodramatisch reißt die Informations- und Kommunikationsflut die Menschen in den Abgrund. Rubin inszeniert den zivilisatorischen Taumel zwischen den Facebook-Posts und Online Bankings. Gleichzeitig koppelt er die episodischen Erzählstränge zu einem shakespearschen Knoten zusammen. Da wirkt es fast aufdringlich, wenn die finale Katharsis so ostentativ daher kommt: Und die beiden schlechten Väter sich mal so richtig altmodisch, analog, in bester John-Wayne Manier prügeln. Trotz des drängenden Themas wirkt die Kulturkritik in „Disconnect“ zu aufgesetzt, wenn wir Smartphone- und Facebook Zombies uns in schicksalhafter Schwere wider erblicken. Zurück zur Natur!
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06.02.2014
Eigentlich könnten sie Freunde sein, der 17-jährige Palästinenser Sanfur (Shadi Mar'i) und der ältere Razi (Tsahi Halevy). Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sie nett über Männerthemen plaudern sieht. Doch Sanfur arbeitet schon seit Jahren als Informant für den israelischen Geheimdienstagenten Razi. Sanfurs Aufgabe besteht darin, Informationen über eine Zentralfigur des palästinensischen Widerstandskampfes zu beschaffen – seinen Bruder. Dabei gerät er zunehmend zwischen den Fronten, die sich weiter verhärten, als es zu einem Bombenanschlag kommt.
Ernsthafte politische Themen im unterhaltsamen Thriller-Format, das wurde schon oft versucht. Oft schlecht. Aber der israelische Regisseur Yuval Adler präsentiert mit seinem Erstlingswerk „Bethlehem“ einen klassischen Agenten-Thriller, dem es gelingt, die Komplexität des Nah-Ost-Konflikts aufzugreifen, ohne es als bloße Schablone für spektakuläre und effekthascherische Inszenierungen zu missbrauchen. Wenn es zu aufgebrachten Konfrontationen im palästinensischen Lager oder zu israelischen Einsatzkommandos kommt, dann wird die hitzige Atmosphäre zwischen den Fronten beklemmend eingefangen. Auf eine politische Anklage oder Parteinahme verzichtet „Bethlehem“. Aber die Verhältnisse des Nah-Ost-Konflikts werden mit seinen verhängnisvollen Verwicklungen mitreißend aufgezeigt. Zwischen dem Polit-Thrill schwingt schließlich noch eine spannende Coming-of-Age-Story mit, denn es sind ja nicht nur die politischen Dimensionen, die geschildert werden. Wie es ist, in einem permanenten Krisengebiet aufzuwachsen, das wird hier emotional dargestellt. Das gelingt vielen Sozialdramen nicht.
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06.02.2014
So ein Vampir-Dasein ist kein Zuckerschlecken. Nicht nur, dass Vampire Jahrhunderte alt werden. Das Tageslicht bekommt ihnen nicht und ihr Grundnahrungsmittel Blut erhalten sie auch nicht beim Supermarkt nebenan, sondern müssen es beim Dealer ihres Vertrauens bestellen. Entsprechend schlecht geht es Adam. So schlecht, dass Eve (Tilda Swinton), die mit ihm eine Skype-Fernbeziehung zwischen Detroit und Tanger pflegt, kurzerhand zu ihm reist.
Wer mit den Filmen des Kult-Regisseurs Jim Jarmusch vertraut ist, ahnt, dass spektakuläre Plotwendungen nicht mehr unbedingt zu erwarten sind. Adam ist der personifizierte Kulturpessimismus, sein Refugium gleicht einem Bunker gegen all die kulturellen Geschmacksentgleisungen da draußen. Gegen die Zombies, wie er die Menschen verächtlich nennt. Dies drückt auch sein Interieur aus: statt Flachbildschirm-Megaglotzen, Tablets oder Notebooks zieren eine alte Röhrenkiste, analoge Röhrenverstärker oder eine Sammlung antiquierter E-Gitarren seine Butze.
In einer gleichzeitig überbordenden wie langweiligen Zeit ist es die Sehnsucht nach dem Gestern, die Eve und Adam als Paar zusammenhält. Dies zelebriert Jarmusch. Untermalt von langsamen, epischen Gitarrenriffs zeigt er, wie sie sich in ihren asketischen Alltag eingrooven, zwischendurch wird Blut getankt, aber zivilisiert: aus Konserven, noch lieber aus Likörgläschen oder als 0-Negativ-Eis-am-Stil. Wer an die Teenie-Sorgen der Twillight-Vampire denkt, bekommt hier das Kontrastprogramm. Jarmusch zeigt deren gelegentliche Fahrten durchs nächtliche Detroit, die fordistische Industriestadt, die einst florierte, jetzt aber, nachdem die Autohersteller den Standort verließen, als Geisterstadt erscheint. Das Kapital ist weitergezogen, langsam erobert sich die Natur die Gegend zurück. Jamusch zeigt das in elegischen Bildern. „Früher war alles besser“ – diese Idee schwingt auch mit, wenn Jarmusch die Kamera durch die nächtliche „Motor City“ schweben lässt. Vielleicht ist Jarmusch ein Konservativer, aber er ist der lässigste, der coolste Konservative. Lakonisches Grundgefühl, poetische und langsame Inszenierung, das ist Jarmuschs Stil, sein Markenzeichen. Dem bleibt er treu. Nicht mehr, nicht weniger.
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