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18.03.2006
Ich bin fast wieder willen ins Kino gegangen, um Brokeback Mountain anzuschauen. Habe befürchtet es könnte wieder so ein Mainstream Film von Pseudoschwulen sein. Es gibt aber absolut keine Getue vom Schwul-Sein, das heutzutage in Großstädten fast wie ein Full-Time-Job geworden ist. Zum ersten Mal sind die Schwulen genau wie alle anderen, Menschen wie du und ich: ein Wunder und es würde Zeit! Aber Brokeback Mountain ist viel mehr als das.
Ang Lee ist meiner Meinung nach einer der größten Filmemacher unserer Zeit. Eine Ausnahmekünstler, der wahrlich die zwei Welten des tiefen Blickes und die herzergreifende Spiritualität einer der ältesten Kulturen der Menschheit und die atemberaubende visuelle Hingabe der anderen Kultur in sich vereint. "Eissturm" und "Eat Drink Man Woman" sind die Vorzeigebeispiele. Brokeback Mountain ist aber nicht nur einfach eine schwule Story. Jede große Geschichte braucht einen Kontext, Rahmen, einen Geburtsort. Sie entwickelt sich nicht in leerem Raum. Dies ist die Geschichte der Zwänge, wenn Ennis von dem Schicksal seiner Familie erzählt; die Geschichte der Einengung, wenn die geplanten Heirat erwähnt wird, weil er mutterseelenallein ist. Die Tragödie der Selbstverstümmelung, die Verleugnung des wichtigsten, was uns zu Menschen macht, wenn Ennis nach der ersten Trennung von Jake zusammenbricht. Eine Liebesgeschichte ohne ein einziges Mal das Wort Liebe auszusprechen. Eine Geschichte der Ursprünglichkeit wie der eigentliche Hauptdarsteller des Films, die mystische Landschaft, die Ennis und Jake mütterlich wie die eigenen Kinder aufnimmt, behüttet und der einzige Zufluchtsort der Freiheit bis zum bitteren Ende bleibt. Lee zeigt den Kreis des Lebens: Ausbruch in Brockeback, Umbruch beim Wiedersehen der Liebenden nach vier Jahren und Einbruch wenn Ennis nach 20 Jahren sagt: "Ich bin nirgendswo angekommen ..." und in Jakes' Armen kraftlos zugrunde geht.
Lee beherrscht handwerklich seine Arbeit meisterhaft. Von der ersten Aufnahme: die märchenhafte Ebenenlandschaft, bis zur letzten Stellung: Ennis' Altar mit Jakes und seinem Hemd über einander, neben dem kleinen Fenster zum weiten Feld, ist jede Stellung malerisch perfekt ausgewählt. Eine ausgereifte und zugleich zurückhaltende, ja fast schüchterne Perfektion, die der Zugang zu dieser Welt ebnet. Er hat in dem Visuellen, die Landschaftsaufnahmen der großen amerikanischen Fotografen (besonders Adams) fortgesetzt. In Entwicklung hat er zurecht den Rücken konsequent zur Sentimentalität (nur für Tragödientouristen) gekehrt. Mit einer brennenden Ehrlichkeit und außergewöhnlichen Direktheit erzählt er von der Unschuld und dem Menschlichsten in uns, dass wieder meine jungen Jahre wachgerufen werden. Kaum Kamerabewegungen schaffen eine äußerst vertraute Atmosphäre. Fantastische Schauspieler, die nicht durch Verkrampfung der Gesichtsmuskeln eine tiefe Botschaft vermitteln wollen (wahrscheinlich eher an Oskar-Jury), sondern einfach die Freude, den Schmerz und die Einsamkeit der Charaktere ausleben und nicht nachempfinden. Diese Geschichte ist unsere aller Geschichte. Dort, wo wir versagt und wo wir den Mut aufgebracht haben, auszubrechen. Ob es einem gefällt oder nicht, es ist Jahre her, dass ich so viele Frauen und Männer im Kino weinend gesehen habe. Es ist Jahre her, dass etwas so einfaches und zugleich eindringliches meine Seele berührt hat. Brokeback Mountain hat ein neues Ära eingeläutet. Minimalismus in Ästhetik und der Wiederkehr der großen Tradition der menschlichen Suche nach seiner selbst.
Vorsicht kein Popcorn- oder Gefühlsduselei-Kino! Keine Manipulation der Sinne durch merkwürdige Kameraschwenken oder Special-Effekts. Es gibt leider keine Ausweichmöglichkeit, man muss einfach den Film gesehen haben. Ein Fest für die Menschlichkeit! Widerstand ist zwecklos!
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