Der kroatische Philosoph Srećko Horvat (34) ist derzeit Fellow an der Akademie der Künste der Welt und im Rahmen der Pluriversale VI Ko-Kurator des geplanten Symposiums „The Extreme Centre“ (18./19.4.). Bei diesem diskutieren hochkarätige Autoren darüber, was die Radikalisierung der politischen Mitte für die Zukunft bedeutet. Auf unsere Frage nach dem Grund für die Entwicklung antwortet Srećko Horvat: „Es handelt sich um eine generelle Wende von Europa bis zu den Vereinigten Staaten, die nur erklärt werden kann durch die Vertiefung der ökonomischen Krise und dem Zerfall des Wohlfahrtsstaates. Die Mehrheit der Bevölkerung befindet sich in einer prekären, unsicheren Situation, und während die Linke nicht imstande ist, Antworten auf die Kapitalismuskrise zu bieten, gewinnt die Rechte mehr und mehr Wähler. Aber es wäre zu einfach zu sagen, die Rechte ist zurück. Der derzeitige Zustand ist besser beschrieben als ‚extreme Mitte‘, was zwei gleichzeitige Entwicklungen bedeutet. Einerseits bewegt sich die rechte Mitte zu einer extremen Position, andererseits implementieren Sozialdemokraten – denken wir an Hollande – wirtschaftliche oder soziale Maßnahmen, die traditionell den Rechten gehörten.“
Bei dem Symposium werden neben Horvat international bekannte Autoren wie der US-kritische Filmemacher Tariq Ali, die spanische Frauenrechtlerin, Ärztin und Theologin Teresa Forcades, die ungarische Philosophin Ágnes Heller, die amerikanische Soziologin Saskia Sassen sowie der linke Journalist Andreas Speit sprechen. Moderiert wird die Veranstaltung von Margarita Tsomou (18.4.) und Georg Restle (19.4.). In der Vorschau wird die These aufgestellt, dass der Kapitalismus die Demokratie nicht mehr benötige. Dazu Horvat: „Wir leben sicherlich nicht mehr in einer Demokratie. Die neue Ära ist durch starke Führer wie Trump, Erdogan, Putin oder Orban gekennzeichnet, viele Länder in Europa gehen in die Richtung illiberaler Demokratien. Aber es wäre falsch, dies als plötzlichen Trend zu sehen. Es waren die Dekaden falscher Wirtschaftspolitik wie TINA (Thatchers Motto „There is no alternative“), die den Weg für den Aufstieg der Extremen Mitte geebnet haben. Es ist die durch das Establishment herbeigeführte Verarmung, die Zorn und Frustration der arbeitenden Klasse bewirkt, die letztlich Trump gewählt hat und nicht Hillary Clinton, die fürs Establishment steht. Das Gleiche geschah beim Brexit in Großbritannien. In diesem Sinn sind Trump und Clinton, rechter Populist und Establishment, zwei Seiten derselben Medaille. Es ist nötig, einen ‚dritten Raum‘ in diesem verlogenen Dilemma zu kreieren.“
„The Extreme Centre“ fragt auch, welche Handlungsmaximen sich daraus ergeben. Dies ist Horvat besonders wichtig: „Als der italienische Philosoph Antonio Gramsci im Faschismus im Gefängnis saß, schrieb er den Satz: ‚Die Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann; in diesem Interregnum kommt es zu unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.‘ Heute leben wir wieder in der dunklen Zeit eines Interregnums. Ich fürchte, dass die politische Zukunft wie eine postmoderne Version der 1930er aussehen wird, wenn wir nicht in der Lage sind, uns zu organisieren. Und ich spreche nicht nur über die Organisation eines Symposiums. Die wahre Frage ist, was wir nach dem Symposium tun.“
Srećko Horvat ist Vorreiter der Linken in den Balkanländern. Bekannt wurde er durch sein Buch „Nach dem Ende der Geschichte“, in dem er prominente Intellektuelle zu Arabischem Frühling, Occupy-Bewegung, Poststrukturalismus und Postkolonialismus befragte. 2008 gründete er in Zagreb das Subversive-Festival. Es will Forum für kritische Stimmen sein und auf den demokratischen Diskurs Europas mit emanzipatorischen Themen und Nationalismuskritik Einfluss nehmen. Haben Osteuropäer eine andere Sichtweise als Deutsche?
„Als Kroate kann ich sagen, dass die osteuropäischen Länder schwerer von der ökonomischen Krise getroffen wurden, was einer der Gründe ist, warum die aktuelle Entwicklung in Ungarn, Polen oder Serbien extremer scheint. Aber sehen wir nach Frankreich – wir wissen nicht, ob Marine Le Pen nicht die nächste Präsidentin sein wird. Und die Wahlen in Deutschland können auch unerfreuliche Überraschungen bringen“, so Horvat.
An den Abenden gibt es Performances bekannter Künstler. So wird der New Yorker Medienkünstler Michael Portnoy mit der Premiere von „Character Assassination“ die Internetwelt alternativer Fakten und die Angreifbarkeit von Social-Media-Profilen ironisch durchleuchten. Weiterhin gibt das slowenische Künstlerkollektiv Laibach ein Konzert. Die Künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt, Ekaterina Degot, wird übrigens nächstes Jahr das renommierte Kulturfestival ‚steirischer herbst‘ als Intendantin leiten.
„The Extreme Centre“ | Di 18.4. 17.30 Uhr, Mi 19.4. 18 Uhr | Volksbühne am Rudolfplatz
„Character Assassination“ | Di 18.4. 21 Uhr | Volksbühne am Rudolfplatz
Laibach | Mi 19.4. 21.00 Uhr | Volksbühne am Rudolfplatz | www.academycologne.org
Reservierung möglich bis 11.4. unter: symposium17@academycologne.org
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