Unsere Streitkultur ist nicht mehr das, was sie einmal war. Ob man sich in Internetforen, auf Dinnerparties oder Präsidentschaftsdebatten umhört: Allzu oft wird das gemeinsame störrische Verharren auf verschiedenen Standpunkten als Diskussion missverstanden. Alles jenseits des Extremen wird außer Acht gelassen, der Kompromiss mit Schwäche gleichgesetzt. Die von KölnSPD, Freie Volksbühne Köln e.V. & Volksbühne am Rudolfplatz ins Leben gerufene Diskusionsreihe „Streitkultur“ soll da einen Konterpunkt setzen. „Ich habe einen Satz lange nicht mehr gehört in Diskussionen, und das ist der: Stimmt, du hast recht“, sagte Anja Backhaus am Montagabend in ihrer Anmoderation und stimmte optimistisch. Gleich vorweg: Auch in der Diskussion zwischen Journalist und Autor Jürgen Wiebicke, Kabarettist Wilfried Schmickler und der Aktivistin Linda Ludewigs würde niemand diesen Satz sagen. Das hatte allerdings andere Gründe.
„Ist Demokratie ein Elitenprojekt?“ ist die Leitfrage des Gesprächs und bietet schon bei einem Blick auf das Programm einiges an Diskussionsstoff. Von einer „Abstiegsgesellschaft“ ist da die Rede, in der „Werte der Solidarität, der Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit“ „ausgehöhlt“, „in der die Schwächsten mit der größten Härte behandelt werden“. Hier schwingt viel mit, das diskutiert werden kann, weshalb für den Abend gelten sollte: Die Diskussion muss strikt moderiert werden. Die Diskussion schweifte aber leider immer wieder ab.
Auf die schwammige Eröffnungsfrage nach der Funktion eines Politikers antwortet Wiebicke, indem er weitere Fragen aufwirft. Von wem reden wir, wenn wir von Eliten sprechen? Warum stellt sich heute jeder als Opfer dar? Und wer fühlt sich eigentlich repräsentiert? Ludewig greift letzteres auf, bemängelt, wie wenige Vertreter von Minderheiten im Bundestag vertreten seien. Schmickler verlangt keine höheren Quoten von Minderheitsvertretern in der Regierung, lediglich Politiker, die deren Interessen ausreichend vertreten. Da bei diesen ersten Äußerungen öfter mal die Verallgemeinerung „die Politiker“ verwendet wurde, bittet Wiebicke dann, dies zu unterlassen, da es „gute und furchtbare“ Politiker gebe und „die Politiker“ eine populistische Denkfigur sei. Allesamt Aspekte, über die man länger sprechen könnte, die hier aber nur kurz aufgenommen und dann glühend heiß wieder fallen gelassen werden, ohne dass man davon einen Mehrwert davonträgt. Es vergehen rund 20 Minuten bis Schmickler fragt, „worüber wir eigentlich sprechen möchten“.
Darüber wird die Runde sich leider nicht mehr einig. Und durch den steten Wechsel der Diskussionspunkte bleibt das Gespräch an der Oberfläche, fegt manchmal sogar nur über sie hinweg. Ein junger Mann aus dem Publikum stellt gegen Ende der Veranstaltung die Demokratie als solche infrage, da die Regierung lediglich die eigenen Interessen, nicht aber die des Volkes vertrete. Hätte es für diese Äußerung keinen Beifall gegeben, so Wiebicke, dann würde er gar nicht darauf eingehen. Argumentativer Gehalt hin oder her – da wird den Diskutierenden eine reale Angst, ein Verlust des Vertrauens in die Demokratie auf dem Silbertablett serviert, und fast wäre nicht darauf eingegangen worden. Stattdessen dreht sich das Gespräch im Gesamten lieber um semantische Definitionen von Eliten und Politikern, reduziert die Frage nach politischer Repräsentation auf die Zugehörigkeit von Politikern zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen und vor allem Schmickler sieht sich immer wieder dazu berufen, „die Politiker“ zu verteidigen, auch wenn gerade geäußerte Kritik sich noch nicht einmal nah am Politiker-Bashing bewegte.
Die guten Seiten der Debatte gehen somit leider unter. In seiner Eröffnungsperformance sagt Schmickler: „Wir haben doch wirklich Probleme genug: wir werden alt, wir werden krank, und unsere Wohnungen werden unbezahlbar. Wir ersaufen im Müll. Der Frieden in der Welt wird bedroht von durchgeknallten Halbirren mit der Intelligenz von Kieselsteinen. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Hunger. Wir befinden uns in den Händen von skrupellosen Wirtschaftsverbrechern, die diesen Planeten plündern.“ Hätte man nicht darauf eingehen können, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass sich an vielen dieser Aspekte nichts ändern wird – egal, welcher Partei sie ihre Stimme geben – und sie sich und ihre Wünsche deswegen nicht repräsentiert sehen? Etwa eine Stunde später geht es zwar um die fehlenden (sozialen, linken) Haltungen der Parteien, auch hinsichtlich der aktuellen SPD-Krise, doch nicht in einer Weise, die der leitenden Fragestellung gerecht würde.
Um etwa halb neun findet die Diskussion schließlich ihr Ende – nicht etwa, weil alles gesagt worden wäre oder das Gespräch einen runden Abschluss gefunden hätte, sondern ganz einfach, weil der Zeitplan das so vorsah. Entsprechend überrumpelt und unbefriedigt verlässt man den Zuschauerraum und versucht sich im Foyer vielleicht noch an ertragreicheren Diskussionen.
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