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Colin Crouch, Smail Rapic und Wolfgang Streeck (19.3.)
Foto: Mareike Thuilot

Kapitalismus und Sozialdemokratie – ein ungleiches Paar

26. März 2018

„Gibt es einen sozialverträglichen Kapitalismus?“ mit Colin Crouch und Wolfgang Streeck – Spezial 03/18

5500 Euro brutto verdienen Unternehmensberater im Schnitt pro Monat – eine Altenpflegerin weniger als die Hälfte. Trotz des verhältnismäßig hohen Lebensstandards in Deutschland gibt es enorme Gehaltsunterschiede – und im Süden Europas bei bis zu 40% Jugendarbeitslosigkeit für viele Menschen kaum Perspektiven.

Jahrzehntelang gehörten Demokratie und Marktwirtschaft im westlichen Denken zusammen, mittlerweile sehen immer mehr Menschen in den sozialen Verwerfungen des Kapitalismus eine essentielle Bedrohung der Demokratie. Lässt sich der globalisierte Kapitalismus auf demokratischem Weg zähmen? Über diese Frage diskutieren am Dienstagabend der Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch aus England und der Kölner Soziologe Wolfgang Streeck in den bis auf den letzten Platz gefüllten Räumlichkeiten der Zentralbibliothek. Beide haben bereits wichtige Bücher zum Thema geschrieben – Crouch unter anderem „Post Democracy“ (2008), Streeck „Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ (2013) und „How Will Capitalism End“ (2016). Das Gespräch moderierte Smail Rapic, Professor für Philosophie an der Universität Wuppertal.

Viele wichtige Aspekte zum Thema werden im Laufe des Abends angesprochen: Von den irrwitzigen Auswüchsen des Kapitalismus über eine manipulative Wirtschaftslobby bis zur demokratischen Bedeutung der Zivilgesellschaften. Eine richtige Diskussion entwickelt sich an diesem Abend jedoch kaum. Das liegt nicht zuletzt auch an der Moderation, die ein Gespräch an vielen Stellen nicht zustande kommen lässt.

Der Bürger als Untertan des Kapitalismus

In der Krisendiagnose stimmen Crouch und Streeck weitestgehend überein, entwickeln jedoch unterschiedliche Zukunftsvisionen: ein reguliertes Finanzsystem mit mündigen, kosmopoliten Bürgern auf der einen und ein zum Scheitern verurteilter Kapitalismus sowie eine Rückbesinnung auf nationale Interessensgruppen auf der anderen Seite. Die Wirtschaftsform des Kapitalismus definieren beide als eine unbegrenzte und damit sinnlose Anhäufung von Kapital um seiner selbst willen – wie, so Streeck, „Brennstäbe, die man in einen Atommeiler wirft“.

Während Crouch glaubt, der Kapitalismus besitze eine große Anpassungsfähigkeit und sei durch strenge Regulierungen langfristig trotz notwendiger Interessenskonflikte „regierbar“, ist Streeck in seiner Zukunftsprognose deutlich pessimistischer – er glaubt nicht an ein dauerhaftes Überleben des Kapitalismus. Trotzdem schaffe es der Kapitalismus „in erstaunlicher Weise“ immer wieder von neuem die Gesellschaft an seine Prinzipien anzupassen – dabei müsse es genau umgekehrt sein. Unter den vier Schlagwörtern „Coping“, „Hoping“, „Doping“ und „Shopping“ sei es ihm gelungen, die Menschen zu untertänigen Konsumgläubigern werden zu lassen, für welche das Hamsterrad der Wirtschaft eine „sportliche Herausforderung“ darstelle.

Kapitalistische Auswüchse und „intelligente Pflaster“

Die extremen Auswüchse des Kapitalismus würden, so Streeck in seiner Analyse, durch „intelligente Pflaster“ immer wieder temporär verschleiert – zuletzt etwa durch die unbegrenzte Gelddrucklizenz der Zentralbanken nach der Finanzkrise im Jahr 2008. Dies funktioniere allerdings jeweils nur ein paar Jahre und könne langfristig nicht gutgehen. Auch Crouch stellt die kritische Frage, wie die Banken mit den herkömmlichen, offensichtlich problembehafteten Methoden immer neues Geld schöpfen sollen.

Kollektives Problembewusstsein statt individuelle Glückssuche

Wie können Demokratien im kapitalistischen Wirtschaftssystem gestärkt werden? Auf diese Frage von Rapic sprechen Crouch und Streeck einer mündigen Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften eine große Bedeutung zu – sehen aber auch gleichzeitig die zunehmende Schwierigkeit, diese zu mobilisieren. Ein Kernproblem des Kapitalismus sei, so Crouch, dass die „gefühlten, politischen Identitäten“ der Menschen – außer bei denen mit rechtesnationaler Gesinnung – zunehmend verschwänden und damit auch Verantwortungsgefühl und Handlungsbewusstsein. Auch für Streeck ist eine elementare Voraussetzung für handlungsfähige Gewerkschaften ein kollektives Problembewusstsein. Der heute übliche Gedankengang sei jedoch häufig: „Ich bin der Schmied meines eigenen Glücks – meine Probleme sind individuell.“ Daraus entstehe eher Verzweiflung als kollektive „Kampffähigkeit“. Auch Spenden habe mit kollektivem Handeln nichts zu tun, betont Streeck, – solche Aktionen der Zivilgesellschaft würden die Machtverteilung nicht angreifen. Zersplittert in lose Grüppchen seien die Menschen – an dieser Stelle nimmt  er Bezug zu Crouchs Theorie in „Postdemocracy“ – vielmehr leicht bearbeitbar von PR-Spezialisten, welche die Themen geschickt im Sinne der Politik und vor allem der Wirtschaftslobby lenkten und die Menschen dadurch manipulierten.

Während Streeck glaubt, Verantwortungsgefühl und „Kampfbereitschaft“ könne vor allem in „lokalen, überschaubaren Gruppen“, beispielsweise in Nationalstaaten entstehen, glaubt Crouch an einen „cosmopoliten Bürger in einer globalisierten Welt“, der Zugehörigkeitsgefühl und Loyalität zu verschiedenen Gemeinschaften entwickeln könne.

Die Linke als „Verlängerung des Sozialliberalismus“

Einig sind sich beide in ihrer Analyse der linken Parteien in Europa: Diese seien eine „Verlängerung des Sozialliberalismus“ geworden, so Streeck. Der Neoliberalismus habe das Problem der Ungleichheit neu definiert – weg von kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, hin zur Stärkung der Rechte und Freiheiten von Minderheiten sowie zur Verwirklichung individueller Wünsche. Darum allein könne es jedoch nicht gehen, so Streeck. Bürger seien abhängig von einer „schützenden Sozialordnung“, die auch Pflichten mit einschließe, wie etwa Ausgleichspflichten Reichen gegenüber Ärmeren. Es brauche eine „Gesellschaft, in der Menschen würdig leben können“ – dies gehe über den Liberalismus weit hinaus.

Das Grundeinkommen als soziale Lösung?

In der abschließenden kurzen Fragerunde bewegt die Zuhörer vor allem ein Thema: Das bedingungslose Grundeinkommen als Zukunftsutopie. Etwas überraschend und konträr zur Meinung einiger Zuhörer lehnt Streeck das Grundeinkommen als soziale Lösung ab. Dieses sei zum Zwecke der „Ruhigstellung der abgehängten Menschen“ erdacht und zwangsläufig auf „unterstem Lohnniveau“. Der Ursprung der Idee käme aus dem Silicon Valley – hier suche man Antworten auf die Frage, wie trotz zunehmender Digitalisierung der Arbeitsplätze die Kaufkraft der Menschen erhalten werden könne. Damit sei die Utopie weniger sozialen Ursprungs, als vielmehr kapitalistischer Natur.

Aber wie kann es gelingen, dass nicht die Menschen dem Kapitalismus mit seinen teils absurden Auswüchsen hörig sind, sondern das Wirtschaftssystem dem Leben der Menschen dient – so wie es Streeck und Crouch fordern? Und wie können die tiefen Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft im Sinne einer demokratiefähigen und mündigen Gesellschaft aufgelöst werden? Konkrete Antworten darauf, und auf die Frage, ob und wie ein sozialverträglicher Kapitalismus tatsächlich möglich ist, liefern beide an diesem Abend leider nicht – was wohl auch dem komplexen Thema geschuldet ist. Trotzdem war es ein aufschlussreicher Abend, an dem den Zuhörerinnen und Zuhören viele Absurditäten des Kapitalismus vor Augen geführt wurden. Martin Streeck hatte dabei nicht nur den größeren Redeanteil, sondern zeigte sich auch immer wieder als der radikalere und Kapitalismus-kritischere Denker. Die Diskussion fand in Kooperation mit der Bergischen Universität und der Buchhandlung Bittner innerhalb der Reihe „wissenswert – Gespräche am Puls der Zeit“ statt.

wissenswert – Gespräche am Puls der Zeit | Stadtbibliothek | Termine

Mareike Thuilot

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