Es sind keine Massen zu tausenden auf den Straßen, es brennen keine Barrikaden, es wehen keine tiefroten Fahnen. Dennoch herrscht dieser Tage ein unerbittlicher Klassenkampf – genau genommen mindestens die vergangenen 40 Jahre. Nur wird der eben nicht von den üblichen Verdächtigen von links geführt.
Klassenkampf führen die Reichen gegen die Armen. Kronzeuge ist Warren Buffett, einer der begabtesten Spekulanten unserer Ära. 2006 sagte der damals 76-Jährige und 52 Milliarden US-Dollar schwere Finanzjongleur der New York Times: „Es gibt Klassenkampf, okay ... aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“ Wie schmutzig die Klasse der Reichen diesen Kampf führt, das mussten wir auf Bundesebene mal wieder im vergangenen November erleben, als es um die angebliche Abschaffung von Hartz IV zugunsten des „Bürgergelds“ ging.
Da die Koalition aus SPD, Grünen und FDP keine Mehrheit im Bundesrat hat, war sie auf eine Verhandlungslösung mit CDU/CSU angewiesen. Nicht, dass die ursprünglichen Pläne der Ampel ambitioniert gewesen wären. Aber sie hätten das brutale Sanktionsregime der Jobcenter ein wenig entschärft, bei dem die „Kunden“ mit bis zu 30 Prozent Abzug ihrer kümmerlichen Bezüge rechnen müssen und damit unter das Existenzminimum fallen können; vor allem fürKinder hat das katastrophale Folgen.
Doch das Wenige war den „mitfühlenden Christen“ von CDU/CSU – einen Monat vor Weihnachten – deutlich zu viel. Und so warf sich der CDU-Vorsitzende, Privatflieger und ehemalige Blackrock-Schattenbanker Friedrich Merz in die Pose eines rechten Arbeiterführers und trat ordentlich nach unten: Jedem Bürgergeld-Bezieher müsse es noch einmal deutlich schlechter gehen als dem ärmsten Niedriglöhner, lautete das Merz’sche Mantra, und er spielte die Habenichtse mit und ohne Arbeit gegeneinander aus; übrigens bestand Merz 2018 gegenüber der „Bild“-Zeitung darauf, trotz Millionenvermögens Angehöriger der gehobenen Mittelschicht zu sein und mitnichten der sehr wohlhabenden Oberschicht.Tatsächlich haben in der BRD seit Beginn von Hartz IV vor 20 Jahren massenhaft Zeitarbeiter, Minijobber und Scheinselbständige kaum mehr auf der Hand als das Nicht-einmal-Existenzminimum. Insgesamt 13,8 Millionen Arme gibt es im reichen Deutschland, was immerhin 16,6 Prozent der Bevölkerung sind. Zum Vergleich: Vor den Hartz-Reformen galten 2002 mit 12,7 Prozent deutlich weniger als arm; auch wenn’s damals schon zu viele waren.
Zurück zur Kritik von CDU/CSU am ursprünglichen Bürgergeldentwurf: Vor allem der Wegfall des Sanktionsregimes war den Konservativen ein Dorn im Auge. Wider wissenschaftlich belegtes Wissen bedienten sie den neidpolitischen Gassenhauer der „Leistungsträger“, wonach es sich Sozialleistungsempfänger mit 502 Euro monatlich (zum 1. Januar 2023; zuvor 449 Euro) in der sozialen Hängematte gemütlich machen würden, würde man sie nicht mit Sanktionen auf Trab halten. Dabei hatte erst im September eine Studie des Instituts für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) belegt, dass die Sanktionen ihr Ziel verfehlen. Sie trügen, so die Forscher, nicht dazu bei, mehr Menschen in Arbeit zu bringen — was als Ziel der Hartz-Reformen ausgegeben wurde. Stattdessen fühlten sich die Menschen zusätzlich stigmatisiert statt motiviert, ihre Arbeitssuche zu verstärken. Diverse Medien, die zumeist auch reichen Leuten gehören, haben über diese Konsequenzen des Hartz-Systems übrigens kaum berichtet. Ein mieses Spiel, dieser Klassenkampf von oben.
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wandelwerk.koeln | Das „Zentrum für den sozial-ökologischen Wandel in Köln“ fördert auch ein neues Verständnis von Unternehmerum und Wertschöpfung.
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