choices: Herr Börschel, wie hoch ist das strukturelle Defizit der Stadt aus Ihrer Sicht?
Martin Börschel: Das strukturelle Defizit führt in Köln dazu, dass wir jedes Jahr Eigenkapital und damit städtisches Vermögen verzehren. Auf Basis der mir vorliegenden Informationen sind es derzeit im Jahr rund 300 Mio. Euro. Maximal die Hälfte davon ist durch eigene Managemententscheidungen beeinflussbar.
Die wichtigsten Ursachen dafür?
Bund und Land stellen keine ausreichenden Ausgleichsmittel für die Belastungen im kommunalen Bereich zur Verfügung, die die Wahrnehmung von Pflichtaufgaben mit sich bringen. Aktuelle Beispiele: der Ausbau der U3-Betreuung oder die Umsetzung der Aufgaben aus der TrinkwasserVO. Dazu kommen steigende Sozialausgaben, der dringend notwendige Ausbau des städtischen Bildungs- und Betreuungsangebotes und der notwendige Erhalt der seit Jahren vernachlässigten städtischen Infrastruktur. Die schwache Konjunkturentwicklung belastet Köln zusätzlich.
Wo sollte aus Ihrer Sicht im städtischen Haushalt gekürzt werden?
Alle Positionen im städtischen Haushalt stehen auf dem Prüfstand. Nach den zahlreichen Sparrunden aus den Vorjahren sehe ich allerdings nur noch wenig Potential für weitere Einsparungen. Wir müssen deshalb in den nächsten Jahren echte städtische Aufgaben abbauen und Leistungsstandards reduzieren. Nur so können wir dem Nothaushaltsrecht entrinnen und der Stadt ein Mindestmaß an Handlungsspielraum erhalten. Die Kämmerin ist bereits jetzt aufgefordert, einen nachhaltigen Weg für die anstehende Haushaltsplanung 2013 zu weisen.
Welche strukturellen Reformen schlagen Sie zur Haushaltskonsolidierung vor?
Der Stärkungspakt Stadtfinanzen der letzten Landesregierung ist ein erster richtiger Schritt aus der kommunalen Schuldenfalle. Dazu brauchen wir endlich eine Reform der Gemeindefinanzen, die diesen Namen verdient und die die kommunale Selbstverwaltung bewahren hilft. Dazu gehört auf Landesebene eine effektive und sachgerechte Ausgestaltung des Konnexitätsprinzips, das ja in der Landesverfassung steht. Aber auch der Bund muss seine Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wahrnehmen. Die Übernahme der steigenden Sozialtransferkosten ist eine gesamtgesellschaftliche und keine kommunale Aufgabe. Die von der NRWSPD erstrittene Beteiligung des Bundes an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung war hier ein erster dringender Schritt. Wir brauchen ferner einen Solidarpakt für unsere Kommunen, der in strukturschwache Regionen und Stadtteile investiert und insbesondere NRW als besonderen europäischen Wirtschaftsraum und Verkehrsknotenpunkt nicht länger vernachlässigt. Eine an Ausgleichszielen orientierte Wirtschafts- und Regionalpolitik muss sich zukünftig weniger an Himmelsrichtungen – Stichwort Solidarpakt Ost –, sondern zunehmend gesamtdeutsch orientieren, um alle strukturschwachen Regionen in gleicher Weise behandeln zu können.
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