Der Begriff der Inklusion ist den meisten wahrscheinlich aus der Pädagogik bekannt, es bedeutet, dass Menschen mit verschiedenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zusammen lernen. Mittlerweile wächst das Interesse für inklusive Arbeitsformen in künstlerischen Bereichen. Hier im Ruhrgebiet wurde 2011 die inklusive Kompanie Szene 2wei gegründet, gerade zeigen sie deutschlandweit ihr neues Stück „#Atme“.
Im Tanz geht es nicht um Perfektion und trainierte Körper, das Ziel seien berührende, ehrliche Momente, es geht um Kunst, erklärt William Sánchez H., der Choreograf der Tanzkompanie. Er und Timo Gmeiner lernten sich im Studium an der Folkwang Universität kennen, wo sie 2009 zum ersten Mal mit behinderten und nicht-behinderten Tänzern und Tänzerinnen arbeiteten. Sánchez erzählt von dem Prozess, der damals einsetzte, indem er sein tänzerisches Material noch einmal neu gelernt habe, um es auf andere Körper übertragbar zu machen. Das habe ihm ganz neue Sichtweisen auf Bewegung ermöglicht. Im Vordergrund stehen für ihn die Fähigkeiten seiner TänzerInnen, nicht deren Behinderung. Ihn interessiere die Vielfalt, die durch die ganz unterschiedlichen Körper entstehe. Die Arbeit, die mit Szene 2wei möglich ist, hat in seinen Augen einfach mehr Salz und Pfeffer, die richtige Würze also, um Erzählenswertes zu Kunst werden zu lassen. Dass körperliche Entwicklung stattfinde und neue Bewegungsfähigkeiten entstehen, sei ein Nebeneffekt, seine Arbeit betrachtet Sánchez in keiner Weise als therapeutisch. Er erzählt, dass er in der Arbeit mit nicht-professionellen TänzerInnen besonders die Momente schätzt, in denen vermeintliche Fehler passieren, denn diese erlebe er oft als einen Punkt von Kreativität und nutze sie dann für seine Choreografien. Die meisten Szenen entstehen aus der Improvisation oder aus Ideen und Bildern, die Sánchez mit der Kompanie entwirft. Manchmal entsteht auch etwas aus Bewegungen, die er entwickelt und der Kompanie zeigt.
2016 hat die Kompanie begonnen an einer neuen Trilogie zu arbeiten: „Kala“, ein Begriff aus der indischen Mythologie, der die personifizierte Zeit bezeichnet. Im letzten Jahr entstand ein Stück über die Vergangenheit und in ihrer aktuellen Produktion „#Atme“ geht es um die Gegenwart. Häufig interessiert sich Sánchez für ein Requisit oder ein bestimmtes Material – damit wird in der Probenphase improvisiert, in diesem Jahr waren es eine Schaufensterpuppe und Plastik. Man kann sofort an die Verschmutzung der Meere und die Probleme, die durch unsere Plastikmüllproduktion entstehen, denken, doch es geht auch um den Körper als künstlerische Plastik. Die Frage nach der Ästhetik von Körperbildern wird aufgeworfen. Oft stellen die propagierten, alltäglichen Körperbilder einen Kontrapunkt zum tatsächlichen Leben dar, ihnen fehlt die Lebendigkeit, der Atem.
„#Atme“ | Di 9.1. 19.30 Uhr | Pina Bausch Theater an der Folkwang Universität, Essen | www.szene2wei.de
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