Es ist voll am Sonntag im Blue Shell. Voll, aber still, als M. Ward die Bühne betritt. Er trägt heute Abend ein ärmelloses Rippen-Shirt. Seine Frisur gleicht ein wenig der von Igel Mecki. Eines ist klar: Hier kommt Country nach Köln. Alternative Country. Das Publikum ist gemischt und hochkonzentriert. Ältere Folk-Fans Seite an Seite mit jüngeren. Vor ein paar Jahren war der amerikanische Folksänger und Gitarrist schon einmal in Köln. Nun stellt er unter anderem sein nunmehr achtes Album „More Rain“ in Europa vor. Das Lied auf dieser Platte mit dem gleichnamigen Titel beginnt mit einem Windrauschen, das sich mehr und mehr in einen Sturm verwandelt. Gefolgt von plätschernden Tropfen.
Ist das hier drinnen oder da draußen? fragt man sich als notorisch Von-Regen-und-Sturm-(selbst-im-Sommer-dank-Klimawandel)-Verfolgter. Eigentlich möchte der Zuhörer ein Schild hochheben mit der Bitte: nein. Bitte bitte keinen Regen mehr. Ich habe genug davon.
Dann wird das Publikum versöhnt durch die gewohnte Ruhe, die der 43-Jährige ausstrahlt – eine faszinierende Gelassenheit, die fast schon ein bisschen beängstigend ist. M. Ward hat das Geräusch von Regen selber aufgenommen. Die analoge Aufnahme eines Regensturms von seinem eigenen Fenster aus ist bezeichnend für seine Musik, nimmt der in Kalifornien geborene und heute in Oregon lebende Künstler und Songwriter doch auch seine Songs noch immer auf einem alten Vier-Spur-Gerät auf. M. Ward ist so etwas wie die Rückkehr zur analogen Langsamkeit im Zeitalter von digitalem Stress. Der Meister of Slow Movement. Passend dazu heißt auch ein weiteres Lied auf seiner neuen Platte „Slow Driving Man“. Tatsächlich hat M. Ward das Album „More Rain“ „für Tage mit beschissenem Wetter komponiert“, wie er eigens sagt. Wie gut, dass dieser Sonntag in Köln jedoch ausnahmsweise eher ein lauer Sommerabend ohne Niederschlag ist.
M. Wards Musik, die offenbar von vielen einstigen Liebschaften handelt, ist sehr persönlich. Gelegentlich fragt man sich bei Songs wie „Girl from Conejo Valley“, „Primitive Girl“ oder „Never Had Nobody Like You“, wie viele Ex-Freundinnen er eigentlich insgesamt hatte. Seine Musik ist ein intimer Einblick in seinen privaten Mikrokosmos. Kein lauter dröhnender politischer Makrokosmos.
Langweilig ist sie jedoch nicht. Dafür ist sie zu facettenreich. Und dafür ist M. Wards stets heisere, melancholisch angehauchte, leicht nasale Stimme, die bisweilen nach oben abknickt, zu besonders. Extrem langsame Stücke, die mitunter zum Einschlafen einladen, wechseln sich Gott sei Dank mit lauteren und bewegteren ab. So überraschen etwa auf seiner neuen Platte die rockigen, flotten und zum Entschleunigungskonzept komplett kontrastiven Titel „Time Won't Wait“ und „Confession“, natürlich meine persönlichen Favoriten. Dazwischen gewohnt lange Instrumentalteile.
M. Wards Songs sind mit Leidenschaft komponiert und werden ebenso inbrünstig transportiert. Wenn der multitalentierte Musiker, der selber Produzent ist, zur Mundharmonika greift, dann meint er diese Mundharmonika. Auf diese Weise gelingt es dem passionierten Sänger, eine sehr persönliche Atmosphäre zu schaffen und intime Nähe zum Publikum aufzubauen. So interagiert er immer wieder mit diesem, bestellt sich von einem Zuhörer gar ein Bier, „nachdem er bereits durch Spanien und Italien reiste, wo er gelegentlich mit Wein in Berührung kam“, wie er berichtet. Das Publikum reagiert auf diese Freundschaftsanfrage und klatscht. Schließlich darf man sich sogar noch ein paar Lieblingslieder wünschen. Die Zuschauer im Blue Shell sind begeistert. Mit dem Wetter haben wir jedenfalls nochmal Glück gehabt. Trotz Klimakrise.
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