Dienstag, 18. September: Schon in ihrer Einführung zur Previewveranstaltung im Kölner Odeon-Kino stimmte 1Live-Moderatorin Bianca Hauda auf die kommenden anderthalb Stunden ein: Es sei schön, dass sich so viele Zuschauer die Zeit genommen hätten, bei der Projektion von „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ dabei zu sein. Die Moderatorin schlug damit den Bogen zwischen ihrem eigenen, kurzfristigen Engagement für die Veranstaltung, dem Inhalt des Films und dem immer mehr um sich greifenden Zeitmangel, den die meisten Mitteleuropäer im 21. Jahrhundert sicherlich auch schon einmal am eigenen Leib erfahren haben, wenn nicht gar täglich damit konfrontiert sind.
Regisseur Florian Opitz, der nach „Der große Ausverkauf“ nun seinen zweiten abendfüllenden Kino-Dokumentarfilm abgedreht hatte, erläuterte beim anschließenden Publikumsgespräch, dass das Konzept von „Speed“ größtenteils erst im Schneideraum entstanden und er deswegen seinem großen Mitarbeiterteam besonders dankbar sei. Opitz lobte insbesondere die Arbeit seiner Editorin Annette Muff, die während der eigentlichen Dreharbeiten nicht dabei gewesen war und sich deshalb eine neutrale Beobachterposition beim Auswählen der Szenen bewahren konnte. Material war, wie bei den meisten Dokumentationen, nämlich im Überfluss vorhanden: Aus den meisten Szenen hätte man locker einen jeweils 45minütigen Film machen können, bemerkte der Regisseur. Was ihm persönlich die Begegnungen mit seinen Interviewpartnern bedeuteten, fasste Opitz euphorisch zusammen: „Ich habe von jedem Protagonisten ein kleines Stückchen mitgenommen, was mir beim Nachdenken über das Hamsterrad und bei meiner täglichen Entschleunigung weiterhilft.“
Das im Film beschriebene Hamsterrad ist der Mechanismus, der eine ständige Beschleunigung des Alltags aus dem Gesellschaftssystem selbst heraus bedingt. Auch der Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa, einer der Interviewpartner in „Speed“, war als Diskussionsteilnehmer zur Preview ins Odeon-Kino gekommen. Auf die Frage, ob denn ein Paradigmenwechsel möglich sei, der die Gesellschaft wieder entschleunige, antwortete er nüchtern: „Nein, in unserer Gesellschaft ist das nicht möglich. Dafür wäre eine neue Gesellschaft nötig, aber ob wir das aus eigener Kraft hinbekommen, weiß ich nicht.“ Vielleicht müsse es zunächst zu einer Katastrophe kommen, damit die Menschheit wieder von vorne beginnen könne. Mögliche Optionen für solche neue Gesellschaftsordnungen wären beispielsweise ein vollständiger Verzicht auf monetäre Zahlungsmittel. Regisseur Opitz ist nun erst einmal froh, dass er jetzt wieder mehr Zeit für seine Familie hat: „Nach der extrem beschleunigten Zeit während des Filmens ist es bei mir jetzt ruhiger geworden – und ich hoffe, dass es auch in Zukunft so bleibt!“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Prominente Drehorte
Der Verein Köln im Film zeigt in Köln gedrehte Spielfilme – Festival 05/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
Von kinderlos zu kinderfrei
Sondervorführung „Me Time“ im Odeon Kino
„Ein Wechselbad der Gefühle“
Publikumsstimmen zur choices preview von „Alcarràs – Die letzte Ernte“ – Spezial 08/22
Berührender Hilferuf der Landwirtschaft
choices preview im Odeon-Kino: „Alcarràs – Die letzte Ernte“ – Spezial 08/22
Abrissbirne und Wiederaufbau
Filmprogramm zu Stadtplanung und Bürgerprotesten – Reihe 06/22
Faszination der Gewalt
„Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“ im Odeon – Foyer 03/19
Interventionen im öffentlichen Raum
Eine Veranstaltungsreihe erinnert an Heinrich Pachl – Kino 02/19
Schleichende Ausrottung indigener Völker
„Piripkura“ feiert Deutschland-Premiere im Odeon – Foyer 12/18
Die nächsten Generationen
„Nachlass“ im Odeon – Foyer 10/18
Guru der ayurvedischen Medizin
„Der Doktor aus Indien“ im Odeon – Foyer 08/18
Den Absprung ermöglichen
„Therapie für Gangster“ im Odeon – Foyer 05/18
Mit Trauer umgehen
„Poison – Eine Liebesgeschichte“ im Odeon – Foyer 02/25
Bittersüße Dystopie
„Ein schöner Ort“ in der Aula der KHM – Foyer 01/25
Zeit-Fragen
Symposium der dokumentarfilminitiative im Filmhaus – Foyer 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24