choices: Herr Müller-Römer, der FC hat seit Dezember letzten Jahres eine neue Satzung - ein Schritt weg vom Karnevalsverein?
Stefan Müller-Römer: In der Tat. Eine Satzung bildet das Fundament, um einen Profi-Fußballklub solide führen zu können. Dann gelingt es auch, qualifiziertes Personal zu akquirieren wie das jetzt dem FC mit dem neuen Geschäftsführer Alexander Wehrle und dem neuen Pressesprecher Tobias Kaufmann gelungen ist.
Was ist neu an der Satzung?
Die Struktur der Satzung ist grundlegend geändert und demokratischer worden, die Rechte der Mitglieder wurden gestärkt. Zentrales Kontrollorgan ist jetzt der Mitgliederrat, für den jedes Vereinsmitglied kandidieren kann, wenn mindestens 100 Mitglieder die Kandidatur unterstützen. Er ersetzt den bisherigen Verwaltungsrat sowie den alten Beirat. Für beide Gremien hat früher der Vorstand eine Wahlliste präsentiert, der die Mitglieder ohne eigene Alternativen zustimmen konnten oder auch nicht. Die neue Satzung sieht weiter vor, dass jedes Mitglied einen Antrag auf Satzungsänderung stellen kann. Das ist bei anderen Bundesliga-Vereinen schon lange selbstverständlich. Der FC hatte dagegen früher eine Monster-Klausel, nach der mehr als 10.000 Leute einen solchen Antrag unterstützen mussten, bevor er behandelt wurde. Schließlich wird der neue Beirat wieder ein echter Beirat sein, in dem z.B. Vorstandsmitglieder von großen Sponsoren oder andere für den Verein hilfreiche Personen sitzen werden, die für die Mehrarbeit im Mitgliederrat gar nicht die Zeit haben. Trotzdem kann ihr Rat wertvoll sein; deshalb beraten sie im Rahmen des Möglichen.
Dann gibt es noch diesen sog. Gemeinsamen Ausschuss.
Seine Aufgabe ist die Lenkung der vereinseigenen GmbH & Co KG, die für die Organisation des Profi-Spielbetriebs zuständig ist, im Sinne des Vereins, dem die Profi-KG ja gehört. Früher konnte der Vorstand hier ohne wirkliche Kontrolle tun und lassen, was er wollte. Das ist jetzt anders. Der Gemeinsame Ausschuss besteht aus den drei Präsidiumsmitgliedern, zwei Mitgliederräten und dem Vorsitzenden des Beirats. Diese passen auf, dass die Geschäftsführung der Profi-KG im Sinne des Vereins handelt, ohne die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsführung in Frage zu stellen. Eingriffe in das Tagesgeschäft durch den Vereinsvorstand soll es nur noch im Ausnahmefall geben, damit auch klar ist, dass die Geschäftsführung die Verantwortung trägt.
Der FC ist hoch verschuldet. Hilft da die fortschrittliche Satzung weiter?
Ja und nein zugleich. Nein, denn Satzungen können weder Geld drucken noch Tore schießen. Ja, denn auf Basis der neuen Satzung kann der Klub solider und transparenter geführt werden. Und bei aller Liebe zu den Qualitäten unserer Stadt, zu denen auch der Karneval gehört: Ein Proficlub ist ein Wirtschaftsunternehmen. Trotz aller Lebenslust und Freude muss man da seriös und nüchtern agieren. Deshalb ist eine Image-Korrektur weg vom „Karnevalsverein“ notwendig.
Muss man Vereinsmitglied sein, um FC-Fan zu sein?
Nein, das muss natürlich nicht sein. Auch ein Nichtmitglied kann den Verein ja einfach nur unterstützen, ohne sich gleich engagieren zu wollen.
Und der Fan?
Ganz einfach: Man liebt seinen Verein, man freut sich, wenn er gewinnt, und leidet, wenn er verliert. Das Reizvolle dabei ist, dass es keine einheitliche Fankultur gibt. Es gibt den einfachen Stammtisch, es gibt Gruppen, die auch selber kicken, wieder andere fahren gemeinsam zu Auswärtsspielen, wieder andere machen Choreografien im Stadion. Jeder Jeck ist eben anders.
In letzter Zeit wird viel über Gewalt, Pyrotechnik und Sicherheitskonzepte diskutiert.
Man darf nicht alles über einen Kamm scheren, wie das häufig in der Medienberichterstattung getan wird. Zur Ultra-Kultur gehören ganz unterschiedliche Gruppierungen mit ganz unterschiedlichen Interessen.
Pyrotechnik ist ohne Zweifel gefährlich.
Ja, das ist sie. Aber für einige ist Pyrotechnik trotzdem Teil ihrer Fankultur. Darüber kann man streiten. Dazu muss man sich allerdings zusammensetzen. Ich persönlich meine, dass man nicht alles verbieten muss. Kompromisse müssen möglich sein, ein kontrolliertes Abbrennen in gesicherten Zonen unter Kontrolle des jeweiligen Heimvereins wäre aus meiner Sicht z. B. denkbar. Verbote funktionieren auch nicht, weil der Reiz des Verbotenen dann umso größer ist.
Neuerdings ist auch die Rede von einem neuen Fantyp. Er kommt zuverlässig zu den Spielen und macht einfach mit, ohne Ärger zu machen. Er ist reflektiert und selbstironisch-distanziert. So eine Art Fußball-Hipster.
Das ist aus meiner Sicht eine Art Fan, wie ihn sich DFL, DFB und FIFA klonen möchten. Jemand, der ordentlich zahlt, konsumiert und ansonsten die Klappe hält. Wenn alle so würden, verlöre der Fußball sein Flair. Ich möchte auch gerne diejenigen dabei haben, die etwas verrückter sind, die gerne weniger elegant sind, die sich dafür aber mehr engagieren und mehr Emotion zeigen. Ich möchte keine bis ins kleinste Detail geplanten „Stadionevents mit Häppchen“, wie sie sich viele Funktionäre vorstellen.
Die Abschaffung der Stehplätze ist keine Lösung?
Das Stadionerlebnis und nicht die Fernsehübertragung sollte immer noch das ultimative Erlebnis sein, die Stimmung kommt vor allem von den Stehplätzen. Die reinen Sitzplatzstadien wie in England sind dem eher abträglich. Ich halte Stehplätze aber auch deshalb für sehr wichtig, weil es eine Menge Leute gibt, die nicht 20 oder 30 oder 40 Euro für eine Karte ausgeben können. Fußball ist Volkssport und muss bezahlbar bleiben.
Der Fan kämpft auch für einen Rest an Selbstbestimmung?
Genau darum geht‘s. Noch kann man sich in gewissem Maße selbst organisieren. Das geringe Maß an Freiheit, das mit den Stehplätzen verbunden ist, möchte ich den Fans gerne lassen. Wenn ich sehe, wie die FIFA ihre Turniere ausrichtet, kann ich sagen, das ist nicht meine Kultur.
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