Anna Fischer wurde 1986 in Ost-Berlin geboren. Nach einer kleinen Rolle in Hans-Christian Schmids „Lichter“ konnte sie sich rasch in Kritikererfolgen und Publikumshits wie „liebeskind“, „Die Wolke“, „Liebe Mauer“ oder „Heiter bis wolkig“ einen Namen machen. Die mit dem Adolf-Grimme- und dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Schauspielerin ist nun in Barbara Alberts neuem Film „Die Lebenden“ im Kino zu sehen, in dem sie sich für die NS-Vergangenheit ihres Großvaters zu interessieren beginnt.
choices: Frau Fischer, wie war die Zusammenarbeit mit Regisseurin Barbara Albert, die bei "Die Lebenden" eine stark autobiografisch geprägte Geschichte erzählt?
Anna Fischer: Es war total toll mit Barbara zu arbeiten, insbesondere weil sie ein ganz eigenes Gespür für den Stoff hatte, der ja tatsächlich ihre eigene Geschichte ist. Dadurch legte sie auf alles großen Wert und war sehr überzeugt von dem, was sie tun wollte und wie sie es tun wollte. Das war sehr angenehm, weil sie der „Löwe“ war und man dadurch einfach abgesichert war, was sehr schön war.
Ihre Figur „Sita“ taucht enthusiastisch in ihre eigene Familiengeschichte ein. Haben Sie selbst ein vergleichbares Interesse an Ihren eigenen Wurzeln?
Ich habe das Drehbuch gelesen und war davon sehr mitgenommen. Ich dachte mir danach, dass ich auch noch Fragen stellen müsste, die meine Herkunft anbelangen. Obwohl ich schon oft darüber mit meiner Oma geredet hatte, hab ich mich mit ihr daraufhin noch einmal zusammengesetzt, um mit expliziten Fragen noch mehr in die Tiefe zu gehen. Hinsichtlich der ganzen Zweiter-Weltkriegs-Geschichte war jedenfalls noch Redebedarf da. Die letzten Zeitzeugen werden immer älter und man hat immer weniger Gelegenheit, sie danach zu befragen. Aber genau diese Möglichkeiten sollte man noch nutzen, um nachzuhaken. Meine Generation hat das Thema schon sehr ausgiebig in der Schule durchgenommen und ist von der Nazi-Zeit etwas übersättigt. Von allen Seiten wird man damit zugeballert. Aber diese persönliche Herangehensweise war für mich überaus interessant und hat mich sehr gepackt.
Sie haben in Ihren früheren Rollen nie einen Hehl um Ihre ostdeutsche Herkunft gemacht und ihren Dialekt offensiv eingesetzt. War das eine bewusste Entscheidung oder das Ergebnis von Typecasting?
Teilweise hat sich das durch die Rolle ergeben und hat gepasst, weil dadurch mehr Authentizität entstand. Im Fall von „Die Lebenden“, der zu großen Teilen in Österreich spielt, hat das dann einfach nicht gepasst. Deswegen haben wir hier mehr Hochdeutsch reingebracht.
Ebenso verbindet man mit Ihnen das Image des lieben Mädchens. Ist es schwierig, als erwachsene Schauspielerin erkannt und besetzt zu werden? „Die Lebenden“ scheint hier einen neuen Karriereabschnitt von Ihnen einzuläuten...
Das Drehbuch zu diesem Film lag schon seit mehreren Jahren auf meinem Tisch. Das Projekt sollte eigentlich schon vor fünf Jahren gedreht werden, was aufgrund der fehlenden Finanzierung bis jetzt nicht klappte. Wenn wir „Die Lebenden“ vor fünf Jahren schon gedreht hätten, wäre die Frage sicherlich eine ganz andere gewesen. Ich achte nicht speziell darauf, verschiedene Facetten von mir zeigen zu können, sondern achte bei Drehbüchern eher darauf, ob mir der Stoff Spaß machen könnte oder ich die Rolle als Herausforderung sehe. Natürlich versuche ich auch gerne, zu zeigen, was ich kann. In diesem Fall war es ein kompaktes Komplettpaket, was ich sehr schön fand.
Für Film und Fernsehen scheinen Sie sich bewusst anspruchsvolle Projekte auszusuchen. Lehnen Sie darüber hinaus viele Angebote ab?
Ich habe in dieser Hinsicht immer Glück. Natürlich gibt es manchmal Sachen, die am Ende anders rübergekommen sind, als sie im Drehbuch ausgesehen hatten. Man liest etwas und lässt sich darauf ein, und manchmal kommen dann ein paar Dinge dazwischen. Beispielsweise geht mitten beim Dreh das Geld aus, oder es müssen Dinge gestrichen und gekürzt werden und das ursprünglich gelesene Drehbuch wird dann am Ende ganz anders. Ich lasse mich bei der Projektauswahl aber sehr von meinem Bauchgefühl leiten und hatte damit eigentlich immer sehr viel Glück. Natürlich sage ich auch Projekte ab, die mich nicht berühren oder bei denen mir meine Rolle nicht gefällt.
Sie haben keine klassische Schauspielausbildung absolviert. Würde es Sie dennoch mal reizen, Theater zu spielen?
Ja, absolut! Vor vier Jahren war ich mal zu einem Casting bei Thomas Ostermeier in der Schaubühne in Berlin für ein französisches Stück. Das Casting selbst hat auch schon wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich dachte zunächst, ich trinke nur einen Kaffee mit Ostermeier, und stand stattdessen dann auf dieser tollen großen Bühne vor all den Produzenten und wichtigen Menschen. Die waren ganz begeistert und wollten mich auch für die Rolle haben, aber damals hat sich das zeitlich mit einigen schulischen Verpflichtungen meinerseits überschnitten. Deswegen klappte das nicht, und danach ergab sich nie wieder eine neue Gelegenheit. Es ist auch immer eine Entscheidungsfrage, ob man sich für ein halbes Jahr ans Theater verpflichtet, oder ein neues Filmprojekt übernimmt. Ich habe mich immer eher für Film entschieden, weil ich das meist auch sehr spannend fand. Ich würde sofort und gerne einmal Theater spielen, aber die Organisation ist da nicht einfach. Es würde mich aber total reizen, und wenn morgen ein gutes Theaterangebot eintrudeln würde, bräuchte ich nicht lange zu überlegen.
Casting ist ein gutes Stichwort. Sita aus „Die Lebenden“ arbeitet für "Das Supertalent". Wie stehen Sie selbst zu den Castingshows oder ähnlichen Formaten im deutschen Fernsehen?
Es ist ganz schwierig, da bin ich hin- und hergerissen. Ich habe derzeit das Gefühl, dass jeder in unserer Gesellschaft irgendetwas mit Medien machen und berühmt sein will. Der Weg über Castingshows geht dabei relativ schnell. Wenn man dorthin geht und relativ begabt ist, wird man in der Show auch weit kommen. Das Problem dabei ist, dass man dann für diese Show funktioniert. In der Show ist man ganz oben, aber danach muss man ganz viel machen, um weiterhin Erfolg zu haben. Ansonsten verpufft der Ruhm schnell. Die Kandidaten werden stark ausgenutzt, aber auf der anderen Seite lassen sie sich auch gerne ausnutzen, weil sie ja unbedingt den Erfolg wollen. Die Musikformate sind alle ausgelegt für eine neue Generation von Musikern. Die stellen sich heutzutage in eine Schlange aus 800 Leuten, um nach acht Stunden dann ihr Stück vorzutragen. In diesen wenigen Minuten geben sie dann alles, was sie können, nur um von einem Juror gesagt zu bekommen, dass es nicht gut genug ist. Früher hatte man sich ein abgeranztes Instrument vom Flohmarkt geholt und mit seinen Kumpels Musik gemacht, so wie beispielsweise Nirvana angefangen haben. Diese Art von Musikern scheint es nicht mehr zu geben. Deswegen habe ich das Gefühl, dass durch diese Castingshows ein Stück der Musikszene kaputtgemacht wird. Die Leute kommen nicht mehr auf die Idee, sich etwas selbst anzueignen und auf dem krassesten Weg etwas selbst zu starten. Die wählen alle den einfachsten Weg, indem sie sich bei Castingshows vorstellen.
Was ist denn an diesen Formaten dann lobenswert?
Ich habe kürzlich beispielsweise „The Voice Kids“ gesehen. Und ich muss sagen, dass dort Kinder aufgetreten sind, die besser sind als jeder Erwachsene. Bei deren Auftritten hatte ich Gänsehaut und es standen mir Tränen in den Augen. Das fand ich dann richtig geil, dass diese Kinder durch das Format eine Plattform bekamen. Wenn man allerdings noch nicht der Vollblutprofi ist, dann wird man nicht genug motiviert, sondern bekommt eher wieder zu hören, dass man nicht gut genug ist. Wenn sie das dann hören, werfen sie das Handtuch. Das war vor zehn Jahren noch gar nicht möglich, weil sich jeder ohne Castingshows auf seine eigene Art durchgeboxt hat. Auch so ein Castingformat wie „Germany’s Next Topmodel“ beeinflusst eine ganze Generation. Heidi Klum sieht absolut gut aus und hat wahnsinniges Glück gehabt mit ihren Genen. Wenn nun jemand mit weniger Glück bei den Genen ankommt und vielleicht einen kleineren Busen hat, ist das doch kein eigenes Verschulden – aber man wird danach bewertet! Und jedes kleine Mädchen da draußen glaubt, es würde den Ansprüchen nicht genügen. Wir haben uns als Gesellschaft einen Maßstab gelegt, bei dem keiner mehr weiß, wie man diesen überhaupt erreichen kann. Das finde ich sehr traurig.
Sie wissen sicherlich sehr gut, von was Sie da sprechen, da Sie auch als Musikerin mit der Band Panda auftreten. Welchen Stellenwert in Ihrem Leben nimmt die Musik neben Ihren zahlreichen Schauspielengagements ein?
Für mich ist die Musik eine totale Leidenschaft, dafür mache ich das auch schon viel zu lange. Ich kann nicht den ganzen Tag schauspielern, und ich kann auch nicht den ganzen Tag Musik machen. Ich brauche den Ausgleich. Für mich ist Musik etwas ganz anderes. Sobald ich singe, lasse ich die Gefühle aus mir heraus. Das hat für mich einen ganz hohen Stellenwert, ohne die Musik könnte ich nicht sein. Andererseits mag ich es auch, zu schauspielern, und von jemandem der Handlanger zu sein, der mich in eine Richtung lenkt und an Sachen heranführt, die nichts mit mir persönlich zu tun haben. Das Spannende am Schauspiel ist ja, es so authentisch zu machen, dass die Zuschauer am Ende das Gezeigte für real halten.
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