Wenn man an Leonard Bernsteins Definition denkt, dass ein gutes Musical auch ohne Musik noch ein sehenswertes Stück ist, dann ist man bei „Sunset Boulevard“ eigentlich auf der richtigen Seite. Denn die Vorlage, Billy Wilders gleichnamiger Film (mit Gloria Swanson und William Holden) aus dem Jahre 1950 haben die beiden Librettisten Don Black und Christopher Hampton fast eins zu eins übernommen: Der einstige Hollywood-Stummfilmstar Norma Desmond lebt in ihrer pompösen Villa am Sunset Boulevard in einer Wahnwelt, hofft immer noch auf ein Comeback im Tonfilm. Als ihr der junge, erfolglose und hochverschuldete Drehbuchautor Joe Gillis (überzeugend: Oliver Arno) ins Haus schneit, spannt sie ihn für ihre Pläne ein, macht ihn zu ihrem Geliebten – und tötet ihn schließlich aus Eifersucht. Andrew Lloyd Webber schrieb dazu eine an klassische, symphonische Hollywood-Soundtracks erinnernde Musik, mit den bei ihm so typischen Anklängen bei Oper und Musical.
Regisseur Gil Mehmert – eigentlich einer unserer besten Musicalregisseure, wenn er nicht gerade Lloyd Webber inszeniert – hat mit Pia Douwes einen international gefeierten (und hier bei jedem Lied frenetisch beklatschten) Musical-Star für die Rolle der Norma Desmond verpflichten können. Aber auch bei ihr (Ironie des Schicksals?!) ist der Lack ein wenig ab: Schauspielerisch ist sie einfach zu eindimensional, hat nicht die Bühnenpräsenz einer Glenn Close, die die Rolle 1993 bei der Uraufführung am Broadway und über 20 Jahre später noch einmal am Londoner Westend verkörperte. Und das vielleicht schönste und beziehungsreichste Lied des Musicals „Träume aus Licht“ klingt bei ihr irgendwie lieblos dahingesungen. Da strahlt ihre niederländische Kollegin Wietske van Tongeren in der Rolle von Joes Freundin Betty schon mehr Musical-Feeling aus – auch wenn ihnen Lloyd Webber ein Liebes-Duett geschrieben hat, das so saft- und kraftlos ist, dass man ihre Zuneigung kaum glauben mag. Sie bleibt aber neben Oliver Arno und Thomas Christ (als Hollywood Regie-Ikone Cecil B. DeMille) eine der wenigen, die den Ansprüchen des Stücks und des Genres genügen.
Die Schwächen von Buch (und Inszenierung) werden besonders in der Ausgestaltung der eigentlich zentralen Rolle von Normas Kammerdiener (und Ex-Mann!) Max von Mayerling deutlich, deren Tragik weder vom Interpreten Tom Zahner noch von Regisseur Mehmert herausgearbeitet wird. Nicht zuletzt fragt man sich, warum man so eine renommierte Choreografin wie Melissa King verpflichtet hat, wenn sie die, das Ensemble aufstockenden, Musical-Studenten der Folkwang Universität der Künste einfach nicht in Schwung bringt und auch sonst jede sich bietende Choreografie-Möglichkeit verschenkt.
Dass es mit der Tonabmischung nicht funktioniert, ist man ja an städtischen Bühnen gewöhnt, ist aber hier wieder besonders bei den Chor-Nummern ärgerlich, weil man die Texte nicht versteht. Manchmal ist das aber auch von Vorteil, weil Michael Kunzes Übersetzung nicht gerade zu seinen Glanzleistungen zählt.
„Sunset Boulevard“ | R: Gil Mehmert | 4.11., 30.11., 9.12. 19.30 Uhr, 18.11. 16 Uhr | Opernhaus Bonn | 0228 77 80 08
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