Montag, 15. Februar: Dicht gedrängt versammeln sich Jahr für Jahr während der Berlinale in der Tube Station die Mitglieder des Verbandes der Deutschen Filmkritik, um die Jahrgangsbesten des deutschen Films aus dem Vorjahr zu prämieren. Etliche Gäste aus der Filmbranche sind ebenfalls anwesend, von den Nominierten bis zu den schließlich Ausgezeichneten, von Laudatoren bis hin zu Wegbegleitern und Freunden. In den letzten Jahren wurde die Veranstaltung stets mit viel Witz von Schauspieler Burghart Klaußner moderiert, der das Mikrofon an diesem Abend nun der Moderatorin Nina Sonnenberg überließ, die ebenfalls gewitzt und straff durch die Verleihung führte. Ganz ohne Klaußner kam aber auch diese Verleihung nicht aus, denn für seine sensationelle Darstellung der Titelrolle in Lars Kraumes Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ sollte er schließlich zum zweiten Mal (nach „Das weiße Band“ als bester Schauspieler ausgezeichnet werden. Der zu weiten Teilen in Köln gedrehte Film selbst wurde in der Kategorie „bester Film“ prämiert, die Auszeichnung hierfür nahm Regisseur Kraume gemeinsam mit seinem französischen Autoren Olivier Guez entgegen.
Einen weiteren Doppelsieg konnte Dietrich Brüggemanns satirischer Rundumschlag „Heil“ verbuchen, denn Brüggemann wurde nicht nur persönlich für das beste Drehbuch ausgezeichnet, sondern auch sein Editor Vincent Assmann wurde in seiner Kategorie zum Jahrgangsbesten ernannt. Nach anfänglichen Bedenken, ob er seinen Film über Neonazis überhaupt finanziert bekomme, weitete sich „Heil“ laut Brüggemann während seiner Entstehungsgeschichte schließlich immer mehr zu einem Film über ganz Deutschland aus, bei dem keine heilige Kuh ungeschlachtet blieb. Auf der Berlinale des Vorjahres erlebte eine deutsche Produktion ihre Weltpremiere, die die Filmwelt überraschte und deswegen nun auch unter den Siegern des Preises der Deutschen Filmkritik nicht fehlen durfte: Sebastian Schippers „Victoria“, ein Film, der in nur einem einzigen Take ohne Schnitte auf den Straßen des nächtlichen Berlins gedreht worden war. Sturla Brandth Grøvlen erhielt für seine sensationelle Kameraarbeit an diesem Film völlig zu Recht den Kritikerpreis. „Berlin ist für mich eine zweite Heimatstadt geworden, hier hat alles für mich begonnen. ‚Victoria’ war erst mein zweiter Film, und er hat mir eine Menge Türen geöffnet, dafür bin ich sehr dankbar“, sagte der gebürtige norwegische Kameramann bei seiner Dankesrede.
Wie in jedem Jahr verlieh der Verband der Deutschen Filmkritik auch 2016 einen Ehrenpreis, der an den langjährigen Redakteur der Abteilung Fernsehspiel des WDR, Joachim von Mengershausen, ging. Für dessen Laudatio konnte kein Geringerer als Wim Wenders gewonnen werden, der diese Aufgabe mit Liebe und Dankbarkeit übernahm, da Mengershausen auch für Wenders’ Karriere unerlässlich war. „Wenn es ihn nicht gäbe, stände auch ich nicht hier“, begann Wenders seine Rede über den Ehrenpreisträger. Ohne Joachim von Mengershausen wäre nicht nur das deutsche Kino ärmer gewesen, ohne ihn hätte es den Aufschwung des deutschen Films in den 1970er Jahren nicht gegeben, und ohne ihn und die Redaktion "Fernsehspiel" des WDR hätten die Karrieren von Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Klaus Lemke, Hans W. Geißendörfer, Edgar Reitz, Volker Schlöndorff oder Margarethe von Trotta nicht in der Form stattgefunden, in der sie stattgefunden haben, so Wenders weiter. „Du hast den unterschiedlichsten Filmemachern zur Seite gestanden, ihnen ermöglicht, eine eigene Stimme zu haben, eine eigene Haltung, eine eigene Einstellung, und Du hast damit den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im ureigensten Sinne erfüllt“, schloss Wim Wenders seine Laudatio. Mengershausen selbst nahm seine Auszeichnung dann sichtlich gerührt entgegen: „Mir sind die Tränen gekommen, bei dem, was der Wim da über mich erzählte. Ich habe das nie so empfunden. Ich war immer die Unschuld vom Lande, und bin das auch geblieben, bis mir der Wim nun die Augen geöffnet hat.“
Sämtliche Preisträger und Jurybegründungen online unter www.vdfk.de
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