Erst auf Stadtfesten in Bonn, dann im Karneval – und jetzt deutschlandweit. Die Brasspop-Band Querbeat wird als ewiger Newcomer gefeiert. Die letzte Tour durch die Konzerthallen und Festivals Deutschlands war komplett ausgebucht. Dem Mega-Erfolg von „Fettes Q“ folgt jetzt das neue Album „Randale & Hurra“ zum 18-jährigen Bandjubiläum, mit dem sie im folgenden Jahr auf Tour gehen werden. Wir sprachen mit Saxophonist Raoul Vychodil und Sänger Jojo Berger.
choices: Die ersten Konzerte mit eurem neuen Album – Gebäude 9, Kantine, E-Werk, Palladium und Gloria – sind schon wieder ausverkauft. Hat der wachsende Bekanntheitsgrad etwas verändert im Vergleich zum letzten Album?
Jojo Berger: Nein, Bekanntheitsgrad ist für uns auch was sehr Ungreifbares. Wir ziehen einfach unser Ding durch, es kommen nur mehr Leute.
Raoul Vychodil: Das Umfeld verändert sich eher... und nicht das, was wir machen.
Die Texte schreibt ihr zusammen?
JB: Da ist so eine Grundidee und dann setzt man sich bei ein bis zehn Bier zusammen und überlegt. Was wir am Ende wollen, ist, dass das, was herauskommt, unsere Sprache spricht. Das ist ja auch der Vorteil bei dreizehn Leuten, dass jeder sein Verständnis von Texten und Musik sowie auch seine eigenen Geschichten mitbringt, die man alle mit einfließen lassen kann.
RV: Außerdem: Wenn dreizehn Leute es schon cool finden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass da draußen auch noch ein Vierzehnter ist, der es cool findet. (lacht)
JB: Wir sind schon so lange zusammen als Family, haben so viel zusammen erlebt, erinnern uns an die Ex-Freundinnen des anderen, der erste Absturz... Das heißt man versteht sich quasi blind.
RV: Das einzige Problem dabei ist vielleicht, dass wir auch viele Insider haben, die kein anderer versteht. Aber wir dachten uns scheiß drauf, wir wollen es authentisch erzählen.
Ist eure Vielzahl an Mitgliedern auch der Grund dafür, dass ihr musikalisch so experimentierfreudig seid – Rock, Techno, Brasspop, Ska, Reggea und sogar Hip-Hop?
RV: Wir hören gerne verschiedene Musik und kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Mit diesem Brass-Sound, der den „Querbeat“-Sound herstellt, fällt das gar nicht so auf, wenn wir mal was Neues ausprobieren. Wenn wir mal eine Nummer haben, die dem Rock näher ist oder dem Hip-Hop, dann verschwimmt das eher.
Das steht ja auch hinter euren Texten: alles geben, abbrennen, wieder aufstehen...
JB: ...und wir tanzen immer weiter. Genau, dieser Grundoptimismus.
Aber daneben kommt auch immer wieder etwas Kritik an der Gesellschaft durch.
JB: Klar, wir gehen natürlich auch nicht blind durch die Welt. Es ist uns wichtig, dass man auch guckt, was um einen herum passiert, und dass jeder von uns sich bewusst ist, dass er eine Verantwortung dafür hat, was geschieht. Darüber geht auch unser Lied mit Gentleman: Wir glauben nicht daran, dass die Welt untergeht, aber wir wollen trotzdem ein Europa der offenen Grenzen. Wir wissen, dass wir natürlich auch dafür arbeiten müssen, aber wir wollen zeigen, dass es Menschen gibt, die daran glauben und eben nicht denken, dass die Welt untergeht. Es ist uns wichtig, dass Leute, die zu unseren Konzerten kommen, auch verstehen, was unsere Haltung ist.
Im Titelsong „Randale & Hurra“ lautet der Refrain „Frag mich wie's mir geht – mir geht’s okay, okay!“: Die Standard-Antwort, wenn es einem eigentlich nicht gut geht...
JB: Es geht um diesen Randale-und-Hurra-Gegensatz. Auslöser war ein Kumpel, der sich ein Tattoo machen will – aber da, wo es keiner sieht. In unserer Generation gibt es super viele solcher Situationen: Man will feiern – aber morgen auch früh raus. Der Song geht um diese innere Zerrissenheit – und dann die Standard-Antwort: „Mir geht’s okay.“ Weil keiner wirklich Interesse hat, sich damit zu beschäftigen, wie es einem wirklich geht.
Deshalb auch „Randale und Hurra“, der Widerspruch zwischen Zerstörung und Unbeschwertheit.
JB: Genau, dieses „Ich will mich wegsaufen“, aber am nächsten Tag zu merken: Ich sterbe gleich. Natürlich ist die Quintessenz, dass es sich immer lohnt, dass man zwar manchmal „zwischen Morgen und Moment“ hängt, aber diese Randale dann am Ende doch belohnt werden – wenn man es durchzieht. Deshalb auch im Musikvideo der Geschäftsmann, der ins Wasser springt, und unter dem Oberfläche warten wir und spielen. Um diese Aussage geht´s: Es wartet ´ne bunte Welt im kalten Wasser – wenn man erstmal reinspringt.
Das passt auch zu dieser Diskussion über die Generation von Leuten auf der Suche nach Stabilität, die sich aber trotzdem nicht festlegen möchten.
JB: Genau, dieses: „Ich mach erstmal´n Praktikum“ und dann noch eins und noch eins...
Aber eigentlich will man ´ne Festanstellung.
JB: Das sind natürlich Fragen, die wir uns auch selber stellen, zum Beispiel wenn einer von uns ein Angebot im Ausland bekommt, man aber weiß, wenn er jetzt dort hingeht, ist die Band im Arsch. Deshalb unsere Antwort darauf in „Endstufe 2“: Egal was passiert, welche Versuchungen kommen, wir drehen auf und ziehen es weiter durch.
In eurem Song „Freaks“ singt ihr davon, dass das Land mehr Freaks bräuchte. Wer sind diese Freaks für euch?
JB: Die lustigen Typen, die ausbrechen, ihr Ding machen...
RV: Und die Gesellschaft bunter machen.
JB: Beim Karneval kannst du auch mal ´ne Maske anziehen und vielleicht entdeckst du dabei, in dem Moment, in dem du mal richtig loslassen kannst, wer du wirklich bist.
RV: Deshalb auch im Text: „Zieh die Maske auf und aus“ – eine Überlegung war auch es „Zieh die Maske auf, sei wer du sein kannst“ zu nennen. Manche Leute werden erst zu sich selbst, wenn sie eine Maske aufziehen.
JB: Deine zweite Haut ist dein wahres Gesicht, so dass man sich auch traut, in eine andere Welt zu gehen, einen anderer Mensch zu sein, der man dann schlussendlich auch wirklich ist. Wenn man dann ein Hippie im Tutu ist – alright! Umso geiler! Auf diesem Weg kriegst du vielleicht erst wirklich raus „ob du Business-Class oder Panda“ bis. (lacht) Selbst dann ist es aber nicht zu spät ist, selbst nachdem du mit Aktien gehandelt hast und dann dein Kumpel um die Ecke kommt und sagt: „Steig ein, wir fahren ans Meer“, dass du einsteigen kannst, dass du immer die Chance hast, zurückzugehen.
Ihr habt den limitierten Fanboxen zum Release den neuen Albums Masken beigelegt – selbstbemalt. Kann man das also als Metapher sehen?
JB: Genau. jede Maske ist nämlich komplett unterschiedlich. Du ziehst die Maske also auf und bist trotzdem anders und bunt, trotzdem individuell.
Im Song „Laberländ“ („Nächstes Mal lass ich mir dein Versprechen auf den Arsch tätowieren“) geht es um Großmäuligkeit und leere Versprechen – wie seid ihr auf dieses Thema gekommen?
JB: Das hat viel mit unserem Wachstum zu tun. Wir machen alles selber, auch Social Media wie Instagram... und kriegen dabei natürlich viele Angebote von irgendwelchen Agenturen, viele Leute die einem versprechen: „Wir machen dies und das für euch und dann kommt ihr ganz groß raus.“ Am besten dazu noch dieser englische Slang.
RV: Es ist halt vieles sehr unverbindlich. Leute die ankommen: „Wir müssen unbedingt mal was zusammen machen“, ob andere Musiker oder alte Freunde, und am Ende sieht man sich nicht mehr wieder.
Im Gegensatz dazu klingen eure Lieder nach Echtheit und Authentizität hinter den selbstinszenierten, glänzenden Bildern in den Insta-Stories.
JB: Genau, dass es nicht der gephotoshopte Bali-unterm-Wasserfall-Moment sein muss, sondern auch das Kioskbier, das zu den besten Abenden führt. Bei „Romeo“ geht es auch viel darum, dass du auch mal Fehler machen darfst. Es gibt heutzutage wenig Leute, die wirkliche den Champagner aufmachen, die Jazzmusik an. Wir haben in der Band darüber geredet, was heute eigentlich noch Romantik ist, und sind darauf gekommen, dass Romantik manchmal in so einzelnen, süßen – manchmal auch bescheuerten – Aktionen steckt, die aber mit Liebe und Respekt zu tun haben. So wie auch dieser Moment: „Ich reservier dir nen Tisch“, und am Ende ist es direkt am Fenster, das Kioskbier auf Eis. Dass es halt diese ehrlichen, überraschenden Momente sind.
Also dass die Gefühle hinter der Aktion sind die Romantik ausmachen.
JB: Jede romantische Szene in Filmen beginnt in ‘nem Rooftop-Apartment mit Skyline über New York oder Boston. Ich meine, wer sich allein schon dieses Apartment leisten kann, der ist so weit entfernt von ´nem Kioskbier. Aber durch Filme wirkt das alles total normal für uns.
RV: Wir haben auch super lange über Halogen diskutiert. (lacht)
Im Song heißt es: „Wer meint du bist bei Kerzenlicht schön, der sollte dich mal sehen bei Halogen.“
JB: Die beste Pizza in Italien soll es ja auch in den Läden geben, die am hellsten sind, und die am schlimmsten aussehen. Ich will mehr Halogen auf Tinder-Profilen! Weil wer dann noch schön ist, der ist wirklich schön.
Noch eine letzte Frage: Wie ist das eigentlich mit dem Karneval?
RV: Naja, wir sind ja nicht als Karnevalsband gegründet worden.
JB: Wir haben das ehrlich gesagt auch nie so recht verstanden. Was wir machen, ist Musik und in welchem Kontext das stattfindet, können wir nicht so ganz beeinflussen. Angefangen haben wir mit Buena-Vista-Social-Club-Zeug, mit spanischen und englischen Sachen. Wir haben dann irgendwann viel Straßenmusik gemacht und dabei dann ein bisschen getanzt, das hatte für die Leute ein bisschen was von Straßenkarneval.
Also in den Karneval seid ihr eher so reingerutscht.
RV: Total. Man merkt auch weiterhin, dass wir mit Straßenmusik angefangen haben und sich das auch weiter durchzieht. Dass das jetzt beim Summerjam mit Reggae-Freaks genauso gut funktioniert wie beim Parookaville, wo alle auf Dance und Drogen sind, ist supergeil, einfach eine bunte Welt, in der alles geht.
Gefällt euch denn eure Präsenz im Karneval?
RV: Klar, wir sind ja auch Rheinländer. Man hat ja oft dieses traditionelle Bild vom Karneval.
JB: Karneval ist ja auch Interpretationssache. Ob es Kölner Karneval ist oder Berliner Karneval der Kulturen, für uns ist es eher dieser Moment, jemand anders zu sein und die Sorgen vom Alltag zu vergessen. Da kann ein Bauer mit ´ner Richterin rummachen. Alle sind gleich. Dieser Ausbruch aus der Realität, der ist das Reizvolle für uns am Karneval.
CD Querbeat: Randale & Hurra | ab 12.10. | www.querbeat.info
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