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Foto: Sylke Schumann / HWR Berlin

„Regulierung politisch schwer zu erreichen“

27. Oktober 2019

Finanzanalyst André Tomfort über Schattenbanken

choices: Herr Tomfort, was macht eine Schattenbank zur Schattenbank?

André Tomfort: Schattenbank bedeutet zunächst mal nur, dass es sich um Akteure am Finanzmarkt handelt, die am Kreditvergabeprozess beteiligt sind, ohne selbst eine Bank zu sein. Eine Bank im klassischen Sinn unterliegt der Aufsicht der Zentralbank oder der nationalen Finanzaufsicht. Dafür ist sie aber auch zentralbankfähig, das heißt, sie bekommt Geld von der Zentralbank. Das ist bei Schattenbanken nicht der Fall, sie müssen sich über den Geld- oder Kapitalmarkt finanzieren.

Wer wird zu den Schattenbanken gezählt?

Schattenbanken sind beispielsweise Geldmarktfonds, Hedge Fonds, Pensionsfonds, Brokerhäuser, spezielle Finanzierungsgesellschaften zur Kreditvergabe und manchmal auch Versicherungen. Die Spannbreite ist ziemlich groß.

Der Begriff klingt für Laien zwielichtig. Zu Recht?

Der Begriff hat vielleicht einen negativen Touch, aber die Akteure sind keine kriminellen Organisationen, die dunkle Geschäfte machen, sondern zugelassene Finanzgesellschaften. Ganz nüchtern betrachtet haben Schattenbanken sowohl Vor- als auch Nachteile. Ihr Vorteil etwa besteht darin, dass sie weitgehend ohne Einschränkungen der Finanzaufsicht Akteuren Kredite zur Verfügung stellen, die sie vielleicht nicht von Banken bekommen hätten. Gleichzeitig verteilen sie das Kreditrisiko auf mehrere Schultern und verringern das Klumpenrisiko, das sich sonst bei den Banken aufbauen würde. Allerdings können Schattenbanken, und das ist die negative Seite, auch selbst zu einem systemischen Risiko werden, wie zuletzt etwa in der Finanzkrise 2008. Das betrifft zwar nicht alle Formen von Schattenbanken, da muss man differenzieren, aber Teile arbeiten mit einem sehr hohen Verschuldungsgrad und sorgen für eine hohe Risikoempfindlichkeit an den Geldmärkten. Sobald größere Risiken auftreten, frieren die Geldmärkte dadurch ein und alle Akteure bekommen Probleme, sich kurzfristig zu refinanzieren. Damals war vor allem ein bestimmte Form der Schattenbanken dafür verantwortlich, spezielle Finanzierungsgesellschaften, mit deren Hilfe die Banken Kredite aus ihren Bilanzen auslagerten und an die Kapitalmärkte weiterveräußerten. Diese Finanzierungsgesellschaften hatten sich sehr kurzfristig am Geldmarkt verschuldet. Als dann die Risiken stark zunahmen fror der Geldmarkt ein, und die Spezialgesellschaften bekamen kein Geld mehr. Sie haben dadurch zum Kollaps des ganzen Finanzsystems beigetragen.

Seit wann gibt es Schattenbanken?

Schattenbanken sind kein neues Phänomen, es gab sie schon im 19. Jahrhundert, damals etwa die Brokerhäuser, die am großen Börsencrash des Jahres 1902 beteiligt waren, der sich über 10 Jahre hinweg aufgebaut hatte. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts waren es dann Investment Trusts, die Geld einsammelten und als Aktie fungierten, um dieses Geld dann selbst wieder in Aktien anzulegen. Sie wirkten wie ein Preisturbo damals und trugen zur Preisblase an den Aktienmärkten bei. Man kann daher sagen, dass Schattenbanken schon häufiger in der Wirtschaftsgeschichte als Krisenbeschleuniger aufgetreten sind. Geschadet hat dies den Schattenbanken übrigens nicht, gerade sie sind in den vergangenen zehn Jahren wieder kräftig gewachsen und vergeben heute bereits mehr Kredite in einer Reihe von Ländern als die klassischen Banken. Das Financial Stability Board, ein Expertengremium, das die weltweiten Finanzmärkte beobachtet und Lösungsvorschläge erarbeiten soll, hat bereits 2015 das Risiko der Schattenbanken als ähnlich hoch wie 2008 eingeschätzt.

Wie konnte dieser Sektor in so kurzer Zeit wieder so eine Bedeutung erlangen?

Das hat zwei Gründe: Schattenbanken werden deutlich weniger reguliert als klassische Banken und sind daher häufig risikofreudiger und günstiger. Banken zögern daher eher bei der Kreditvergabe und verlangen höhere Zinsen, weil sie durch die Regulierung auch unter einem höheren Kostendruck stehen.Der andere Punkt ist die sehr expansive Geldpolitik weltweit, die dazu geführt hat, dass Akteure, die irgendwie Geld anzulegen haben und jetzt auf der Suche nach nennenswerten Erträgen sind, zu Schattenbanken werden – wir erleben etwa, dass Versicherungen oder Anlagefonds, die bisher nur am Kapitalmarkt aktiv waren, jetzt direkt in Projekte in der Realwirtschaft investieren.

Ist es schwierig, Schattenbanken zu regulieren?

Die Regulierung von Akteuren am Finanzmarkt hat ein grundsätzliches Problem, nämlich dass sich der Markt und die Akteure sehr schnell und sehr stark wandeln. Die erwähnten Spezialgesellschaften etwa hat man nach der Finanzkrise stärker reguliert, wodurch sie an Bedeutung verloren haben. An ihre Stellen sind allerdings andere Akteure getreten, die nun andere Geschäfte als Schattenbanken finanzieren. Auch die Geschäftsfelder, auf denen sie tätig sind, wandeln sich sehr stark, deswegen verlaufen auch Finanzkrisen niemals gleich – jede Krise sieht anders aus, weil neue Akteure mit neuen Geschäftsmodellen entstanden sind. Außerdem verlangt die Regulierung von Schattenbanken ein hohes Maß an internationaler Koordination, die politisch nur schwer zu erreichen ist.

Wie sind Banken und Schattenbanken miteinander verflochten?

Banken können durchaus ohne Schattenbanken wirtschaften, aber dennoch kooperieren sie auf vielfältige Weise mit Schattenbanken, etwa im FinTech-Bereich. Diese Zusammenarbeit ist schlicht sehr lukrativ für die Banken, weil sie so ihre Kosten senken können und trotzdem im Geschäft bleiben.

Tragen Schattenbanken gegenwärtig zur Gefahr einer neuen Finanzkrise bei?

Im Moment scheinen die größten Risiken in der sehr hohen Verschuldung der Unternehmen zu liegen, was sich in einem extremen Wachstum der Anleihemärkte im letzten Jahrzehnt ausdrückt. Es gibt eine generelle Unterteilung an den Anleihemärkten, nämlich in ein Investment Grade, dass der Allgemeinheit der Investoren zugänglich ist, und ein Non-Investment Grade, das auch als Junk- oder Schrottanleihen bezeichnet wird. Kritisch zu sehen ist hier vor allem das Triple-B-Segment, das die unterste Stufe der noch weitgehend akzeptierten Anleihen im Investment Grade bezeichnet und das besonders stark gewachsen ist. Wenn sich jetzt im Zuge einer Rezession die Qualität dieser Schuldner verschlechtert, fallen viele dieser Akteure aus dem Triple-B-Segment heraus und landen im Junkbereich. Dann sind viele Akteure gezwungen, diese Anleihen zu verkaufen. Die Aufnahmefähigkeit des Junk-Marktes ist jedoch ziemlich begrenzt, so dass mit einem dramatischen Wertverfall dieser Anleihen zu rechnen ist. Dies könnte eine Finanzkrise auslösen. Davon würden auch die Schattenbanken betroffen sein. Aufgrund ihrer teilweise sehr kurzfristigen Verschuldung könnten sie Probleme bekommen, sich zu refinanzieren. Sie würden dadurch eine neuerliche Krise noch beschleunigen.

Schon 2017 haben Sie vor einer neuen Finanzkrise gewarnt. Und heute?

Damals ging mein Szenario noch von dem klassischen Verlauf aus – dass es zu einem inflatorischen Druck auf die Volkswirtschaften kommt, durch den die Zinsen steigen und viele Investmentprojekte nicht mehr finanzierbar sind, etwa auch Immobilienprojekte. Der Zinsanstieg hätte einen dramatischen Kurs- und Preisverfall an Aktien- und Immobilienmärkten ausgelöst. Inzwischen hat sich das Bild durch die, nennen wir sie mal überraschenden, Wendungen der Trumpschen Wirtschaftspolitik verschoben. Der Handelskrieg hat dafür gesorgt, dass sich die Weltwirtschaft deutlich abgeschwächt hat, bevor sich der inflatorische Druck aufbauen konnte, den ich erwartet hatte, und der sich auch schon abgezeichnet hatte. Jetzt sehe ich die Gefahr, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession rutscht, ohne dass es zu einem Anstieg der Zinsen kommt, und das Problem ist eben die sehr hohe Verschuldung der Unternehmen an den Anleihemärkten, die zu einem Kipp-Punkt für eine zukünftige Finanzkrise werden kann.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

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armuts-und-reichtumsbericht.de | Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2017.
bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2017/fa_bj_1707_Schattenbanken.html | Fachartikel der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über Schattenbanken.
youtube.com/watch?v=JR_UyV32Ba4 | Arte-Doku über die Schattenbank Blackrock.

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Interview: Christopher Dröge

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