Klischee Nr. 1: Kölner können null Musik machen, die über Karnevalsmucke hinausgeht. Klischee Nr. 2: Deutsche Texte sind unlustig, weshalb es lieber bei Beethoven bleiben sollte. Klischee Nr. 3: Frauen kennen noch weniger Humor. Sarah Horneber stellt mit ihrer innovativen, kreativen und vielfältigen Musik all das in Frage: Die in Fürth geborene, inzwischen in Köln lebende 32-jährige Sängerin und Musikerin studierte in Holland Jazz-Querflöte und Gesang. Ihr Debütalbum mit dem ironischen Titel „Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch“ (2018, Galileo Vertrieb) – gleichzeitig der Name der Band – ist eine fulminante Mischung aus Klassik, Pop und Jazz. Nicht selten improvisiert und herausstechend abstrakt. Ihre poetischen Texte kratzen auf humorvolle Weise an der Ambivalenz und Oberflächlichkeit dieser Welt, ohne jedoch zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Passend zum Chanson-Charakter wird zu verschiedenen Textzeilen die jeweilige zündende Musik gefunden. Facettenreich wie das Leben selbst. Das Spannende daran: Ihr Tagebuch ist ein offenes, nie abgeschlossenes Projekt.
In Zeiten von Corona, das die Musikbranche nicht unangetastet lässt, haben wir mit der Band-Leaderin über ihre Musik, ihr Album und Frauen in der Szene gesprochen.
choices: Sarah, magst du Köln?
Sarah Horneber: Ja. Ich bin seit 2013 in dieser Stadt. Es hat etwas Zeit gebraucht, um sich hier zu vernetzen, aber durch die große Szene gibt es unzählige Möglichkeiten, mit Musikern zusammen zu spielen und sich bei Kollegen inspirieren zu lassen. Das ist in Köln ein echter Vorteil.
Wie kamst du darauf, Musikerin zu werden? War das schon immer dein Traum? Warum ausgerechnet Querflöte?
Als Kind träumte ich bereits davon. Mit 17 habe ich den Wunsch dann konkretisiert. Zunächst wollte ich Klavier studieren, doch dann entschied ich mich für Jazz-Querflöte, da ich festgestellt habe, dass ich mit diesem Instrument persönlich mehr Entwicklungsmöglichkeiten haben würde. Dass es in Richtung Jazz gehen würde, kam bei mir durch die abstrakte Malerei. Meine Kunstlehrerin hat mir damals vorgeschlagen, auch in der Musik zu improvisieren und selbst zu komponieren.
Wie kommt ihr auf den wunderschönen Namen „Fräulein Tüpfeltaubes Tagebuch“ für euer Debüt-Album? Ist das ironisch? Was hat es mit dem Tagebuch-Projekt auf sich?
Fräulein Tüpfeltaube ist eine Art Fantasie-Muse, die etwas Verspieltes, Naives hat und dabei an Mensch und Vogel erinnert. So kann sie Dinge aus anderen Perspektiven betrachten und liefert neue Sichtweisen. Gleichzeitig steht der Name auch für die schrullige Fantasie, das Kreative. Das Wort „Fräulein“ kann man als ironischen Wink in die Vergangenheit verstehen. Außerdem verfolgen wir das „Tagebuch-Prinzip“: So unterschiedlich wie die Stimmungen der Einträge in dieses, sind auch unsere Stücke, spiegeln sie doch verschiedenste Lebenslagen wider.
Wovon handelt das Stück „Süße Bitterkeit“?
Dieses Lied ist – wie viele – gespickt mit scharfzüngigen Widersprüchen. Es geht um eine Person, die sehr ambivalent ist und selbst nicht genau weiß, was sie eigentlich möchte.
Und bei dem Lied „Worte“, bei der faszinierenden Zeile „Wort um Wort, Wort um Wort, Worte oh Worte?“ – ist das leibgewordene Wortlosigkeit? Die Unfähigkeit zu kommunizieren? Oder geht es um postmoderne Apokalypse in Zeiten von Corona?
(lacht) In dem Lied geht es um leere Worthülsen. Um aufgeblasenes Getue. Darum, dass hinter der Oberfläche oft nicht so viel steckt, wie erst vermutet.
Ist es schwierig, sich als Frau in der Musikszene durchzusetzen?
Ich habe das Gefühl, Jazz ist schon noch immer sehr männerdominiert. Frauen müssen sich hier erst einmal behaupten, bis sie ernst genommen werden. Andererseits wächst jedoch mein Eindruck, dass für Frauen inzwischen schon viel getan wird. In den sozialen Medien wird auf Ungleichheiten aufmerksam gemacht, und Frauen vernetzen sich. Es gibt Förderungen und so weiter. Da tut sich schon etwas auf dem Gebiet.
Woran tüftelt Frau Tüpfeltaube für die Zukunft?
Diesen Winter planen wir unser zweites Album. Wir wollen auch ein Musikvideo produzieren. Heutzutage ist es ja fast Pflicht, ein Video zu haben. Leider ist das Erstellen von Filmen sehr teuer und mit großem Aufwand verbunden. Gleichzeitig ist es eine tolle Chance, etwas Visuelles und Künstlerisches hineinzustecken und so dem Ganzen noch mehr kreativen Ausdruck zu verleihen.
Betrifft dich die Corona-Krise? Wie stark leiden Musiker darunter?
Schon. Zwei bis drei Konzerte wurden bereits abgesagt. Es trifft die gesamte Branche, die es noch nie leicht hatte, sehr hart. Schauen wir mal, wie es weitergeht.
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