Sheila Heti betritt die Bühne. Neben ihr sitzen Moderatorin Marie-Christine Knop und Schauspielerin Anna Thalbach, die aus dem Buch der kanadischen Autorin mit dem Titel „Mutterschaft“ vorlesen wird. Die Frage, die die Schriftstellerin stellt, ist: Will ich Mutter sein? Ironischerweise befindet sich auch ein Säugling im Publikum. Irgendwann gibt jener Geräusche von sich, die Heti vermeintlich einem Hund zuordnete. Es folgt Gelächter. Überhaupt ist die mal deutsche, mal englische Lesung mit viel Humor.
Im Jahr 2019 müssen sich Frauen, die keine Kinder wollen, noch immer rechtfertigen für das Nicht-Mutter-Werden. So fragte ein Journalist Heti zuvor, ob sie ihre Entscheidung in 25 Jahren nicht bereuen wird. „Keine Kinder zu bekommen, ist das Schwierigste“, schreibt die Protagonistin an einer Stelle in ihrem Buch. Die Person, die in ihrem Buch spricht, ähnelt ihr oft, wenngleich sie auch nicht sie selbst ist. Vielmehr dient sie als eigenes Rechercheobjekt, wenn Heti das Verhältnis zwischen moderner Weiblichkeit und Maternität untersucht. Frauen müssen angeblich Kinder bekommen, um beschäftigt zu werden. Männer hingegen nicht. Heti, die von der New York Times unter die wichtigsten Frauen platziert wurde, die beeinflussen, wie wir im 21. Jahrhundert Literatur lesen und schreiben werden, regt sich über das Klischee auf. Denn dabei würden alle anderen Leidenschaften unterschätzt, während Vermehrung noch immer als höchstes Gut angesehen würde, so Heti.
Trotz eines Alters, in dem längst der Wunsch nach Vermehrung laut in ihr ticken müsste, wie ihr immer wieder mitgeteilt wird, hat die 1976 geborene Autorin und Journalistin kein Kind. Stattdessen verfügt Heti, deren Mutter Pathologin war, über eine gescheiterte Ehe und ein nicht volles Bankkonto, wie sie lachend zugibt. Beim Heiraten fühlte sie sich wie eine Leiche ihrer Mutter auf dem Seziertisch. Die Autorin mit jüdischen Wurzeln fühlt sich nur lebendig, wenn sie Kunst macht. Nicht jedoch, wenn sie sich um andere kümmert, wie sie schreibt. Ihr Buch ist ein ironischer, teils schizophrener Dialog zwischen ihr und der inneren Stimme, die die Antworten dem Zufall durch das Werfen einer Münze überlassen hat, wie sie lachend gesteht.
Protagonistin: „Wird mein Kind attraktiv?“
Stimme (Antwort durch Münzwurf): „Nein.“
Am Ende der Lesung fragt Heti, wer von den Männern im Raum bereit wäre, schwanger zu werden, so dies ginge? Immerhin heben ein paar die Hand.
Wer von all diesen Fragen rund um die beglückende, beklemmende, noch nicht oder bereits eingetretene Mutterschaft noch nicht total eingeschüchtert war, konnte sich mit seinem eigenen kleinen hungrigen Monster in die Lesung „Was fressen Monster?“ im Rahmen der lit.kid begeben. Oder natürlich als Monster-Nachkömmling selber. Es ging um ein gleichnamiges Bilderbuch (ab 4 J.) von Illustratorin und Kinderbuchautorin Constanze von Kitzing und Johannes Büchs, der aus der „Sendung mit der Maus“ und KIKA bekannt ist: Mit einer Reihe ausgehungerter Monster, die es zu füttern gilt. Fortan müssen die Kinder raten, was Monster fressen dürfen, was Menschen hingegen verwehrt bleibt.
Die Vorschläge des jungen Publikums, das rege mitmacht, sind zum Beispiel ausgeleierte Schuhsohlen, Haare oder auch stinkende Socken. „Was fressen die Monster aus dem Buch?“, lautet die zu enträtselnde Frage des folgenden Teils.Die Antworten variieren von ganzen Pizzahäusern bis hin zu Bäumen, denn schließlich befindet sich in den Bäuchen der Monster jeweils eine Säge für die Verdauung. In der Lesung ohne Worte von Büchs und von Kitzing geht es auch um die Frage: Wie entsteht ein Buch? So malt die Illustratorin schließlich etwas, während die Kinder indessen raten, was es ist. Antwort: „Eine Monstertoilette!“ Das Schöne ist, dass es nicht nur ein Monster gibt, sondern jedes Kind seine eigene individuelle Geschichte erzählt.
lit.Cologne und lit.kid.: „Mutterschaft" – ein humorvolles Buch darüber, ob wir Monster in die Welt setzen wollen. Wer sich entscheiden muss, ob er ein Kind bekommen möchte oder nicht, der werfe vielleicht wie Heti einfach eine Münze. Und „Was fressen Monster?“ Ein Rätselspaß für diejenigen, die bereits Monster zu versorgen und zu unterhalten haben. Vielleicht hilft dabei ja die Erkenntnis, dass echte Monster noch viel mehr verschlingen als Kinder.
Sheila Heti: Mutterschaft | Rowohlt | 320 S. | 22 €
Constanze von Kitzing und Johannes Büchs: Was fressen Monster? | Annette Betz | 64 S. | 14,95 €
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