Kulturinfarkt – so lautete 2012 der Titel eines Buches eines Autorenquartetts, in dem die staatliche Subventionspraxis in Frage gestellt wurde. Ohne Ironie kann man derzeit feststellen, dass dieser Infarkt eingetreten ist – allerdings mit umgekehrtem Effekt. Während die Kulturinstitutionen immer wieder außer Gefecht gesetzt werden, steigt die kompensierende finanzielle Unterstützung. Was da allerdings in Gestalt Theater, Kinos, Museen und Konzerten von der Bundesregierung unterstützt wird, sind angeblich „Freizeiteinrichtungen“. Darin manifestiert sich zum einen ein scheinbar protestantischer Blick mit einer Scheidung dessen, was notwendig und was verzichtbar sei. Freizeiteinrichtungen gelten als nicht lebenswichtig. Zum anderen müssen Theater, Kino und Museum für einen symbolischen Akt der Entschlusskraft herhalten, der signalisiert, dass hier die verantwortungsvollen Kümmerer am Werk sind. Der Schauspieler Matthias Brandt hat das kürzlich sarkastisch als wohltuende Entlastung bezeichnet: Endlich wisse man, woran man sei.
Die Formulierung der „Freizeiteinrichtung“ berührt die alte Legitimitätsfrage der Kunst. Deshalb hat Ulrich Khuon, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins, kürzlich vorgeschlagen, Theater mit Schulen und Universitäten gleichzusetzen: vulgo Bildungsanstalten. Das klingt doch schon protestantischer: „Lebenslanges Lernen“ in Schillers (moralischer) „Anstalt“ – Kunst mit Zweckbindung und als Zwangsinstrument. Folgt man hingegen der Einschätzung der Bundesregierung von Theatern und Museen als „Freizeiteinrichtungen“, dann muss man von bezahlten, weil subventionierten „circenses“ der Demokratie sprechen, die nun allerdings in der Krise ausfallen müssen. Römische Potentaten hätten das Gegenteil getan.
Sarkastisch gesprochen liegt in diesem Ausfall unser vergiftetes Glück: Freizeit ist heute nämlich nicht gleichbedeutend mit freier Zeit, sondern weitgehend durchgetaktet und gefüllt mit sinnvollem Tun um Kind, Sport und Kultur. Es ist nun die Bundesregierung, die uns mit jedem Lockdown der „Freizeiteinrichtungen“ wirklich freie Zeit zu schenken versucht. Aber wollen wir das? Nein, denn die wahren Protestanten sind wir: Wir wollen mit Theater, Museum und Kino vernünftig gefüllte Tage – frei dahinfließende, unerfüllte Zeit ist nämlich schlicht unchristlich.
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