Die Liebe zum Comic hat viele Gesichter. Auch wenn die Faszination für amerikanische Superheldenhefte, glänzende Paperbacks, dicke Mangabände, hartgebundene Graphic Novels oder für das lustige Taschenbuch im Alltag und in den Augen selbsternannter Schöngeister noch immer ein beizeiten verlachtes Nischendasein fristet, sind die Fans und Liebhaber der Region, die sich zur halbjährlich – so auch am 4.11. – stattfindenden Comicmesse in der Mülheimer Stadthalle einfinden, nicht von ihrer Leidenschaft abzubringen. Wer hier eine alte Ausgabe von Alan Moores „V wie Vendetta“ sucht, wird ebenso fündig wie die Freunde französischer Psychedelik von Jean „Moebius“ Giraud oder urig-deutscher Evergreens wie Brösels „Werner“. 120 Händler von nah und fern haben dafür den Weg auf sich genommen und zeigen in Mülheim die Bandbreite des Mediums, die von „Mecki“-Heften bis zu derbsten Genre-Stoffen reicht. Während manche Besucher dabei scheinbar ziellos durch die Gassen zwischen den Tischreihen schreiten und ihren Blick über die Auslagen schweifen lassen, sind andere in Zettel vertieft, auf denen sie Namen und Nummern von Heften eingetragen haben, die sie hier zu erstehen hoffen, um unvollständige Sammlungen zu vervollständigen. So reichhaltig wie das Material sind hier auch die Geschmäcker und die Lesegewohnheiten.
Für Organisator Thomas Götze ist die Konzeption und Planung dabei Jahr für Jahr ein Drahtseilakt, bei dem es gilt, einerseits Traditionen zu wahren, die Messe dabei jedoch nicht zur geschlossenen Gesellschaft von Männern im Ü40-Bereich verkommen zu lassen. „Das Stammpublikum ist eben männlich. Das war immer so und wird sich so schnell nicht ändern. Das heißt aber eben auch nicht, dass es nicht immer wieder Strömungen gibt, die das Profil unserer Besucher zumindest tendenziell aufbrechen und Bewegung reinbringen. Der Manga-Boom damals zum Beispiel hat die Szene ein wenig jünger und etwas weiblicher gemacht.“ Nachdem der Carlsen-Verlag schon Ende der Achtziger versucht hat, die Faszination für die japanischen Comics nach Deutschland zu tragen, brauchte es doch ein wenig länger, bis die Veröffentlichungen von Egmont oder Panini im kleinformatigen Taschenbuchformat um die Jahrtausendwende herum bei der jungen Leserschaft eingeschlagen sind. Dort haben sie längst den Kultstatus inne, den einst Heftreihen wie „Die Spinne“ oder die „Die Rächer“ hatten. So mancher der hier ausgestellten Tische widmet sich ausschließlich der Welt der Mangas und zieht dabei die jüngsten Besucher der Messe an. Dennoch zeigt sich Götze darauf bedacht, es ausgewogen zu halten. Moden kommen und gehen. Auch bei mehr als erfolgsversprechenden Trends lohnt es sich, nicht direkt aufzuspringen, da sie nicht selten am Geschmack treuer Stammkundschaft vorbeiziehen.
So mag beispielsweise zwar kaum ein Monat mehr vergehen, in dem nicht eine weitere Comicverfilmung rund um die Superheldenfiguren aus den Verlagen Marvel und DC über die Leinwände fliegt, schwingt, stampft oder ballert und dabei Millionen von Zuschauern in die Säle lockt und Milliarden anhäuft, doch bedeutet dies nicht, dass dieser Boom den Besucherandrang bei Comicevents spürbar vergrößert oder verjüngt hätte, wie Götze weiß: „Sicherlich zieht die Popularität dieser Filme ein paar neugierige Besucher an, die vielleicht Blut geleckt haben. Das bedeutet aber nicht, dass sich dadurch merklich die Mischung an Besuchern hier geändert hätte. Sowas gibt es vielleicht in Bezug auf sogenannte Comic-Cons, wie es sie in den USA schon lange gibt und wie man sie auch hier zu etablieren versucht. Mit Comics und Comic-Kultur haben die aber so gut wie nichts zu tun. Das sind halt große Werbe-Events für Filme und Serien. Die Fans dieser Filme sind aber nicht zwangsläufig echte Comicfans.“
Während diesjährige Kinohits wie „Wonder Woman“ oder „Spider-Man“ von Abermillionen Besuchern geschaut wurden und jeweils über 800 Millionen Dollar einspielten, ging das erfolgreichste Comic-Heft dieses Jahres („Marvel Legacy #1“) nur knapp 300.000 Mal über die Ladentheke. Auch der 39-jährige Messebesucher Manuel, der an diesem Tag aus Krefeld angereist ist, um seine Sammlung aufzustocken, sieht im Erfolg der Filmreihen nicht zwangsläufig eine Bereicherung für die Comickultur. Für den Einfluss einer solchen Nischenkultur auf den Massengeschmack hat er einfache Erklärungen: „Bei den Filmem oder Serien, die auf Heftreihen basieren, geht es meist vor allem darum, dass die Besucher das irgendwoher kennen. ‚Iron Man‘ oder ‚Hulk‘ oder ‚Batman‘ sagt den Kinobesuchern etwas. Die haben schonmal irgendwo davon gehört, und wenn man schonmal von was gehört hat, dann glauben sie, wird das schon gut sein. In der Regel sind das ja auch ganz okaye Filme, aber kaum einer, der da rein geht, würde in ein Comicheft reinblättern. Für die ist das halt Kinderquatsch, obwohl ich finde, dass es Heftreihen gibt, die viel besser geschrieben sind und den Leser viel ernster nehmen und intelligenter sind als diese Filme. Eine gut geschriebene Reihe, die mich als Leser ernst nimmt, interessiert mich auch mehr als irgendwelche Superheldensachen.“ Mehrmals wurde er seit seiner Ankunft vor Ort schon fündig, und so verstaut er eine von Richard Corben gezeichnete „Luke Cage“-Miniserie neben Brian Woods Cyberpunk-Reihe „Channel Zero“ und „The Dream Hunters“, einem Spin-Off von Neil Gaimans legendärer „Sandman“-Reihe.
Statt sich enttäuscht darüber zu zeigen, dass die gedruckten Wurzeln einer zeitgeistbestimmenden Kinokultur sich im wenig beachteten Abseits wiederfinden, pflegt man hier einen trotzigen Stolz und gefällt sich in der Rolle einer vom Mainstream verkannten Subkultur, deren weites Feld an ungehobenen Schätzen und Kleinoden außerhalb des Blickfeldes einer ignoranten Masse am besten gedeiht. Wie auch sollte man einer breiteren Öffentlichkeit den Reiz von Spider Jerusalem, Astro Boy, Corto Maltese oder des Incals erklären? Wem beim Anblick von Heften, Büchern und Sammelbänden, unter denen die Tische hier ächzen, nicht ohnehin das Herz aufgeht, das weiß hier jeder, dem ist ohnehin nicht zu helfen.
Die nächste Comicmesse Intercomic findet am 5.5.2018 statt.
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