Angel or devil, I don't care. For in front of that door, there is you. Wie eine Dauerschleife rotierte diese alte Ziggy-Zeile während des „Lazarus“-Musicals durch meinen Kopf. Die Tür hat David Bowie leider durchschritten, oder glücklicherweise, wenn man das Geschehen auf der Schauspielhausbühne in Düsseldorf aus künstlerischer Sicht Revue passieren lässt und den Ausnahmekünstler nicht auf die billigen Tatsachen hilflosen Boulevards herunterbrechen will.
Virtuelle Revue ist eigentlich das richtige Wort: Passagen, Fetzen, Situationen, die scheinbar durch den Kopf des Protagonisten Thomas Jerome Newton wehen und wie Tropfen in einem Ozean aus Bedauern vergehen. Wer Bowie kennt, kennt auch diese tragische Figur von Walter Tevis aus den frühen 1960ern, die der Musiker im nächsten Jahrzehnt grandios im Film von Nicolas Roeg „Der Mann der vom Himmel fiel“ (UK, 1976) auf die Leinwand führte und – deren Schicksal ihn wohl am Ende seines Lebens wieder einholte und zum Inhalt des „Lazarus“-Musicals machen ließ. Ich behaupte keck, nur wenige in der zweiten Aufführung haben diesen Film überhaupt gesehen, waren eher von der Figur des Urhebers angezogen, insofern hat der Einkauf der Rechte sicher kommerziell seine Pfiffigkeit, doch: „Fame puts you there where things are hollow“ und so war dann das Ergebnis der Matthias Hartmannschen Regie auch. David Bowie war immer Avantgarde, er hätte nie einer so abgehalfterten Version zugestimmt. Schon diese Live-Kameras auf der Bühne waren eher art crimes for Nathan Adler aus Bowies nicht linearer, hyperzyklischer Schauergeschichte von 1995.
Worum geht es in Lazarus eigentlich? Thomas Jerome Newton ist als Außerirdischer auf der Erde gestrandet, kann nicht mehr zurück, wobei seine Familie längst tot sein dürfte, aber er will zurück zu den Sternen. Der Mann der vom Himmel fiel hat bereits alles versucht und musste versagen, jetzt hockt er auf diesem Planeten, kann nicht einmal sterben und fristet ein Dasein zwischen Erinnerung und Alkohol. Seine Gedankenwelt und die sich darin tummelnden Persönlichkeiten werden scheinbar real, nur für ihn und die Zuschauer zu sehen. Dramaturgisch heißt das Prinzip Szene – Song – Szene, wobei eine durchgehende Handlung eigentlich nicht existiert und „look up here I´m in heaven“ schon der Anfang und das Ende ist. Die Bowie/Walsh-Dialoge funktionieren in dieser verdeutschten Konstellation nicht so toll, die Boulevard-Choreografie quer über diese Kingsize-Hotelzimmerbettbühne mit Philippe-Starck-Raketenambiente wirkt aufgesetzt, weder der Spirit von „The Man Who Fell to Earth“ noch der vom Off-Broadway-Lazarus hatte hier eine Chance, hier wütete die Selbstbeweihräucherungs-Tünche.
Zugegeben, André Kaczmarczyk als gekonnte Mischung aus dunklem Todesengel-Mephisto und dem Serienmörder Valentine hat manche musikalische Merkwürdigkeiten (und das lag nie an der Band) überdeckt, auch das weibliche High-Heels-Musicaltrio aus Essen ist ein gekonnter Knaller und sie sind sehr gut, aber die unnötige Suche nach Ähnlichkeiten – und der norwegische Performer Hans Petter Melø Dahl schien immer mehr Newton sein zu wollen als einst Bowie – war eher kontraproduktiv. Keiner wird schließlich mit dem Kopf geboren, den er sich ausgesucht hat.
„Lazarus“ | R: Matthias Hartmann | 3.3., 31.3., 11.4., 12.4., 30.4. 19.30 Uhr, 4.3., 1.4. 18 Uhr | Schauspielhaus Düsseldorf | ausverkauft/Restkarten
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