Mittwoch, 4. Mai: Der neue Dokumentarfilm des Filmemacher-Paares Ulrike Franke und Michael Loeken („Göttliche Lage“) hat bereits eine erfolgreiche Festivalkarriere hinter sich. Beim Kinofest Lünen wurde „We Are All Detroit - Vom Bleiben und Verschwinden“ mit dem Hauptpreis, der Lüdia, ausgezeichnet, und in Köln lief er im Januar als Eröffnungsfilm des Dokumentarfilmfestivals „Stranger Than Fiction“. Nun haben die Filmemacher Franke und Loeken schon mehr als eine Woche vor dem offiziellen Bundesstart damit begonnen, ihr Werk persönlich bei einigen Vorpremieren zu zeigen. Nachdem sie am 3. Mai im Kino Metropolis in Bochum ein erstes Heimspiel verbuchen konnten, weil große Teile des Films in der Ruhrgebietsstadt spielen und sich mit dem Abriss und der Neugestaltung des Opel-Geländes beschäftigen, war auch die Projektion im Filmhaus Kino in Köln anlässlich des 6. NRW-Dokutages eine Herzensangelegenheit der beiden, da die Domstadt ihre einstige Heimat war, bevor sie ins Ruhrgebiet zogen. Nachdem die Herstellung des Films insgesamt fast acht Jahre dauerte und durch die Corona-Pandemie weiter verzögert wurde, zeigte sich Franke „happy, dass der Film nun endlich ins Kino kommt.“ Beim Publikumsgespräch kam auch zur Sprache, dass die Filmemacher ihren Gesprächspartnern gegenüber stets mit offenen Karten gespielt hätten, was jedoch so manche Gespräche und Filmszenen verhindert habe. Auch die Demontage des Opel-Schriftzuges auf dem Hauptgebäude in Bochum konnte deswegen nicht auf Film festgehalten werden.
Zwischen Verfall und Neubeginn
Die Firmenleitung hatte sich dazu entschlossen, das Logo in einer Nacht von Freitag auf Samstag heimlich abnehmen zu lassen. Für Ulrike Franke im Rückblick allerdings gar nicht so dramatisch, denn für sie hatte der nach wie vor auf der Fassade sichtbare Umriss des entfernten Logos den viel stärkeren Symbolcharakter, sozusagen als „Schatten der Vergangenheit“. „We Are All Detroit“ ist für das Regiegespann ein ungewöhnlicher Film, da sich die beiden bislang in ihren Filmen exklusiv mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet beschäftigt hatten. Hier wagten sie nun den Blick über den Tellerrand und stellten den Umwälzungen in Bochum die Situation in der ehemaligen Automobilstadt Detroit gegenüber. Michael Loeken erläuterte, dass er durch die Nachrichten auf diese Idee gekommen sei und mittels Bekannter schließlich der Kontakt in die USA hergestellt wurde. Viermal waren sie im Laufe der Jahre schließlich jeweils für einen zweiwöchigen Dreh vor Ort und haben stets mit denselben ProtagonistInnen deren jeweilige Situation abgebildet. Der seit fast einhundert Jahren familiengeführte Hardware-Store „Busy Bee“ nimmt dabei einen großen Stellenwert ein. Bei der ersten Begegnung mit dessen charismatischem Leiter Richard M. Crabb war seinerzeit noch gar nicht klar, dass der Laden kurz vor der Schließung stand. Diese und die weitere Entwicklung findet sich nun sehr anschaulich im Film und dient, so Franke, als „Symbol dafür, wie sich Gesellschaft ganz allgemein verändert.“ Diente der betreibergeführte Laden für viele als soziale Anlaufstelle, ist in Korrelation dazu in Bochum auf dem alten Opel-Gelände nun eine DHL-Umschlagstation entstanden, die eine völlig entmenschlichte Arbeitssituation aufweist und in absehbarer Zukunft wohl nahezu vollautomatisch funktionieren dürfte.
Dokumentationen brauchen Zeit
Eine weitere Parallele gibt es zwischen zwei Protagonisten, die nun als Landwirte tätig sind. Donney Jones in Detroit hat die Brachflächen um sein Haus dafür entdeckt, dort Obst und Gemüse anzubauen und das dann auf dem Wochenmarkt seiner Stadt erfolgreich zu verkaufen. Der ehemalige Opel-Mitarbeiter Guido Schulte-Schüren hat die Geschäftsmodelle aus seiner Industrie-Vergangenheit übernommen und zieht seinen Ackerbau industriell auf – mit mittlerweile etlichen Selbstbedienungsautomaten, an denen sich seine Kunden Eier und Milch per Knopfdruck aus der Maschine ziehen können. Dass „We Are All Detroit“ ein so emotionaler Film geworden ist, bei dem den ZuschauerInnen die ProtagonistInnen regelrecht ans Herz wachsen, erklärt Michael Loeken so: „Bestimmte dokumentarische Formate können nur entstehen, wenn man Beziehungen mit den Protagonisten aufbauen kann, damit sie ihr Innerstes nach außen kehren.“ Dafür benötigen die Filmemacher Zeit, die sie sich bei diesem Film einfach genommen haben. Das Ergebnis spricht jedenfalls für sich und ist ab dem 12. Mai dann auch bundesweit im Kino im Einsatz.
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