choices: Herr Becker, hat der Kölner Karneval noch etwas Rebellisches, oder geht es nur noch um Koma und Kloppe?
Jürgen Becker: Karnevalisierung heißt historisch immer Umkehrung – der Narr wird König, der König wird erniedrigt. Das Christentum etwa hat die Religion karnevalisiert. Gott wird zu einem kleinen Panz in einer extrem armen Patchwork-Familie. Man würde heute sagen: abgehängtes Prekariat. Insofern gehören Koma und Kloppe auch zum Karneval. Böll formulierte es vornehmer: „Karneval ist, wenn man zu seinen Körperflüssigkeiten stehen kann.”
Was war der Unterschied zwischen Prunk und Stunk vor 27 Jahren?
Mit 27 Jahren spielen sie auf die Gründung der Stunksitzung an. Hier wurden die Frackträger und Honoratioren auf dem Elferrat ersetzt durch Jecken, die den Ahl Säu nahe standen, und der Präsident war ein Punk mit Irokesenschnitt. Insofern war das die Umkehrung der Umkehrung.
Quo vadis Karneval?
Joseph Beuys hat den Begriff der „Sozialen Plastik” kreiert. Den sollten wir karnevalistisch interpretieren. „Jeder Mensch ist ein Künstler” heißt ja nicht, das jeder ein Maler oder Bildhauer ist. Aber jeder hat Talente, und im Karneval lassen sie sich besonders leicht entwickeln. 60% der Kölner Kinder haben eine Migrationsgeschichte, an vielen Schulen sogar 90%. Und jetzt, wo sich die gebildeten Schichten mit der Fortpflanzung so zurückhalten, hängt die Zukunft unseres Landes davon ab, wie viele es von den Hauptschulen an die Universitäten schaffen. Diese Umkehrung kann im Karneval eingeübt werden: Wer entwirft, konstruiert, schweißt, hämmert, flext und bemalt mit den Hauptschülern einen Karnevalswagen?
Wo treffen wir Sie Rosenmontag?
Oft wurde ich eingeladen, auf einem Wagen mitzufahren, aber ich bevorzuge die Schull- und Veedelszöch. Dort fahre ich Trecker oder stehe auf dem Wagen. Natürlich mit Hauptschülern. Ich liebe das, wenn der Moslem „Alaaf“ ruft. Motto des Wagens dieses Jahr frei nach Sarrazin: Wir schaffen Deutschland ab!
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ein bisschen Spaß muss sein
Fatal Banal Session 2017 im Bürgerzentrum Ehrenfeld – Bühne 02/17
Golden glänzt die alte Hütte
Das Bonner Pantheon beginnt in neuer Heimat zu strahlen – Komikzentrum 01/17
Katholizismus + Kommunismus = Karneval?
Über die fragliche Kohärenz einer mathematischen Gleichung – THEMA 02/11 LINKS-RHEINISCHER KARNEVAL
„Der Karneval wird bunter“
Hartmut Priess über die Lieder der Bläck Fööss und die Zukunft der tollen Tage – Thema 02/11 Links-rheinischer Karneval
„Gelegentlich gab es sogar Tote“
Erich Hermans über die Geschichte des Karnevals und des Geisterzugs – Thema 02/11 Links-rheinischer Karneval
„Am liebsten bin ich Anarchist“
„Klaus der Geiger“ über die Gefühle eines linken Preußen im Kölner Karneval – Thema 02/11 Links-rheinischer Karneval
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 1: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 1: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik
„Prüfen, ob das dem Menschen guttut“
Teil 2: Interview – Publizist Tanjev Schultz über ethische Aspekte der Berichterstattung über Kriminalfälle
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 3: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Ernährungsweisen verändern, ohne Zwang“
Teil 1: Interview – Tierethikerin Friederike Schmitz über vegane Ernährung
„Naturschutz wirkt“
Teil 2: Interview – Biologin Katrin Böhning-Gaese über Biodiversität, Wildtiere und Naturschutz
„Sie verstehen uns“
Teil 3: Interview – Tierhistorikerin Mieke Roscher über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren
„Was nicht erlaubt ist: Druck ausüben“
Teil 1: Interview – Autor Sebastian Schoepp über Freundschaften
„Bin ich eifersüchtig oder eher neidisch?“
Teil 2: Interview – Paarberaterin Sonja Jüngling über sexuelle Kontakte außerhalb einer Paarbeziehung
„Mit dem ersten Kind nimmt die Ungleichheit zu“
Teil 3: Interview – Soziologe Kai-Olaf Maiwald über Ehe, Familie und Geschlechterverhältnisse
„Mehr Umsatz, mehr Gesundheit“
Teil 1: Interview – Unternehmer Martin Gaedt über die Vier-Tage-Woche