Dienstag, 17. März: 350.000 Tonnen hoch radioaktiven Abfall hat die Menschheit in den letzten Jahrzehnten angehäuft, jährlich kommen 10.000 Tonnen hinzu. Und dennoch hat man nach wie vor keine Lösung gefunden, wo der Atommüll deponiert werden kann. Der Schweizer Filmemacher Edgar Hagen („Someone Beside You“) ist in seinem Dokumentarfilm „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ dieser Frage nachgegangen. Einer seiner wichtigsten Gesprächspartner im Film war der Endlager-Experte Charles McCombie. Zu Beginn in der Schneller-Brüter-Forschung tätig, hat der schottische Atomphysiker das Schweizer Endlagerprogramm mit aufgebaut und wird als Koryphäe und Experte von nahezu allen weltweiten Atomenergiekonzernen zu Rate gezogen. Obwohl McCombie seit mehr als dreißig Jahren ergebnislos nach einem geeigneten Ort für ein dauerhaftes Atommüll-Endlager sucht, hat er den Glauben daran, diesen Ort einmal zu finden, noch nicht aufgegeben. Edgar Hagen hat sich mit dem Atom-Lobbyisten auf eine Reise rund um den Planeten begeben, um das Für und Wider für mögliche Orte abzuwägen und mit den Beteiligten ins Gespräch zu kommen.
Mehr als fünf Jahre arbeitete Hagen an diesem ehrgeizigen Filmprojekt. Er wusste schon bei der Planung, dass er „eine renommierte Figur aus der Atomindustrie“ brauchte, die ihm und seinem Team Türen öffnen konnte. Diese Figur fand Hagen in Charles McCombie, der beim ersten Vorstellen der Filmidee direkt begeistert davon war. Das erstaunte nicht zuletzt den Regisseur selbst, der nach eigener Aussage „ganz anders tickt“ als McCombie, welcher nach wie vor ein glühender Befürworter der Atomenergie ist. Von Anfang an war klar, dass die beiden vor und hinter der Kamera „einen fairen Kampf miteinander“ führen wollten. Hagen hatte kein Interesse daran, McCombie „in die Pfanne zu hauen“, zumal es dem Filmteam ohne den Endlagerexperten nie möglich gewesen wäre, vor Ort in Sellafield oder in China zu drehen. Auch für den Produzenten Hercli Bundi war es eine Herzensangelegenheit, über das Thema Atommüll einen Film zu drehen. „Das Thema kommt und geht in Wellen, und bei der momentan wieder aktuellen Debatte über die Abschaltung von Atomkraftwerken hat man die Endlagerfrage ziemlich aus den Augen verloren“, kommentierte er nach der Vorführung in Köln. „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Behandlung des Themas. Länder wie Frankreich und Russland und ihr Umgang mit der Thematik wurden bewusst ausgespart, weil das den Rahmen des Films gesprengt hätte.
Edgar Hagen setzte ohnehin seinen Schwerpunkt woanders: „Mir war wichtig zu zeigen, wie wir heute auf der Welt ganz offiziell mit diesem Problem umgehen. Ich wollte den Weg zeigen, den unsere Gesellschaft derzeit in der Atommüll-Endlager-Frage geht“. Eines der Vorzeigeprojekte, das im Film vorgestellt wird, ist die „Waste Isolation Pilot Plant“ (WIPP) bei Carlsbad im US-amerikanischen New Mexico. Dort wurden schwach- und mittelradiokative Abfälle seit 1999 deponiert, aber die Realität hat die Anlage seit Beendigung von Hagens Dreharbeiten eingeholt. Wenige Monate nach den Aufnahmen vor Ort explodierten 700 Meter unter der Erde etliche Fässer, über deren genauen Inhalt man nach wie vor nichts weiß. „Das Gelände kann seitdem nicht mehr betreten werden“, resümierte Edgar Hagen im Odeon-Kino. Was einen direkt wieder zurückwirft auf die Ausgangsfrage, ob es denn überhaupt irgendwo auf der Erde einen sicheren Ort für diese hochgefährlichen Abfälle geben kann. Hagens Reise mit Charles McCombie, bei der er diesem Gelegenheit geben wollte, sein Versprechen einzulösen, diesen Ort zu finden, wurde mehr und mehr zu einer absurden Suche ohne Ergebnis. McCombie konnte das in seinem Glauben allerdings nicht erschüttern. Er ist auch nach Jahrzehnten der Ergebnislosigkeit weiterhin davon überzeugt, irgendwann einmal fündig zu werden.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Prominente Drehorte
Der Verein Köln im Film zeigt in Köln gedrehte Spielfilme – Festival 05/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
Von kinderlos zu kinderfrei
Sondervorführung „Me Time“ im Odeon Kino
„Ein Wechselbad der Gefühle“
Publikumsstimmen zur choices preview von „Alcarràs – Die letzte Ernte“ – Spezial 08/22
Berührender Hilferuf der Landwirtschaft
choices preview im Odeon-Kino: „Alcarràs – Die letzte Ernte“ – Spezial 08/22
Abrissbirne und Wiederaufbau
Filmprogramm zu Stadtplanung und Bürgerprotesten – Reihe 06/22
Faszination der Gewalt
„Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“ im Odeon – Foyer 03/19
Interventionen im öffentlichen Raum
Eine Veranstaltungsreihe erinnert an Heinrich Pachl – Kino 02/19
Schleichende Ausrottung indigener Völker
„Piripkura“ feiert Deutschland-Premiere im Odeon – Foyer 12/18
Die nächsten Generationen
„Nachlass“ im Odeon – Foyer 10/18
Guru der ayurvedischen Medizin
„Der Doktor aus Indien“ im Odeon – Foyer 08/18
Den Absprung ermöglichen
„Therapie für Gangster“ im Odeon – Foyer 05/18
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24