Aboud Saeed thront zwischen zwei Frauen im King Georg. Klar. Er hat ja auch 400 Freundinnen, wie er in seinen Statusmeldungen bei Facebook betont. Die eine liest aus einem seiner Bücher auf Deutsch vor. Die andere stellt auf Englisch ernste Fragen an ihn. „Das Modell Romeo und Julia mag ich nicht“, antwortet er jener, als er zum Thema „Beziehungen“ befragt wird. „Sie können ja ruhig an die eine ewige Liebe mit ihrem Freund glauben“. „Ich hasse Kulturleute“, fügt er provokativ hinzu. Sein Blick ist ernst. Das Publikum ist merklich verwirrt: Darf man lachen? Meint dieser Autor, was er sagt? Und genau das ist es, was seinen Charme und Witz ausmacht: Mit Ironie gelang es dem heute 32-Jährigen Aboud Saeed, zunächst die damalige Situation in seiner Heimat Syrien in provozierende Worte zu fassen, die er als Statusmeldungen in den sozialen Medien veröffentlichte. Als Facebook-Diktator, zu dem er sich selbst erkor, tobte er sich aus, übte so indirekte Kritik am diktatorischen Assad-System: „Wie das syrische System: Jede, die mich nicht mag wird, wird durch Selbstmord sterben,“ schreibt er. „In Syrien durfte man offiziell nicht sagen, was man wollte“, erklärt Aboud Saeed. Deshalb stürzte er sich ins Internet. Der Berliner Verlag Mikrotext wurde auf die ironischen Kommentare Saeeds aufmerksam, übersetzte sie ins Deutsche und veröffentlichte sie unter dem Titel „Der klügste Mensch im Facebook“. „Das war lustig“, lacht Saeed, „plötzlich bekam ich 700 Euro für nur ein Like auf Facebook, soviel Geld habe ich vorher noch nie verdient.“ Aboud Saeeds Leben hat sich seither stark verändert:
Der gelernte Schmied wuchs in Syrien in einem kleinen Ort mit zahlreichen Geschwistern auf. Und mit seiner ständig anwesenden Mutter, „die Plastikschlappen trug, die wichtiger waren als jegliche wichtigen politischen Angelegenheiten des Universums“, wie wir aus seinen Texten erfahren, und mit der er ständig Zigaretten rauchte. Seit 2013 lebt er unter politischem Asyl alleine als Autor in Berlin. „Wenn du in Syrien nicht gerade von einer Bombe getötet wirst, dann stirbst du vielleicht in Deutschland: an Unterkühlung wegen einer auf einem Balkon gerauchten Zigarette oder auf der Toilette eines Flüchtlingsheims“, schreibt Saeed. Auch erfahren wir, dass er in Berlin einmal von einer Frau mit einer Waffe bedroht wurde. Offenbar stand diese unter Drogeneinfluss. Saeed überlebte auch dieses Abenteuer. Inzwischen hat der Meister der Satire ein weiteres Buch, „Lebensgroßer Newsticker“, veröffentlicht. Doch bei aller Karriere als Schriftsteller mag Aboud Saeed kein großes Brimboriom. Ebenfalls verabscheut er die Stigmatisierung von Flüchtlingen, im Negativen wie auch im Positiven, schreibt er im Vice-Magazin, für das er eine Kolumne verfasst: Ich mag diese NGOs und Prominenten nicht, die sich im Namen von Flüchtlingen ablichten lassen, ohne etwas wirklich Gutes für diese zu tun. „Irgendwann“, schreibt er hier ironisch, „werde ich ein Restaurant aufmachen und es Wirtshaus zum Flüchtling nennen.“
Aboud Saeeds Aussagen sind drastisch, aber deswegen umso witziger. Ein bisschen ging der Humor bei der Lesung unter der Ernsthaftigkeit der Präsentation verloren. Zu schwer hing die Frage „Darf-ich-lachen-denn-schließlich-ist-es-ja-ein-Flüchtling?“ im Raum, aber das ist ja genau das, was Saeed verkörpert. Die Antwort lautet: Ja, man darf, man muss.
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