Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Warum „arm“? „Finanziell ungebunden“ klingt doch viel freundlicher!
Foto: Perfectlab / Adobe Stock

Armut ist materiell

30. Januar 2024

Teil 3: Leitartikel – Die Theorie des Klassismus verkennt die Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und ihre Therapie

Mit „Klassismus“ werden Diskriminierungen aufgrund sozialer Herkunft bezeichnet. Autoren und Wissenschaftler, die sich auf Klassismus beziehen, wollen diese soziale Diskrimierung analog zu Rassismus und Sexismus verstanden wissen. Soll aber die Ursache von Ungleichheit und deren Aufrechterhaltung erklärt werden, steckt der Klassismus in der Sackgasse. Der Befund lautet regelmäßig: Armut, Ungleichheit und ihr Fortbestand seien „Ergebnis von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung“, wie die Pädagogin Heike Weinbach zusammenfasst. Bleibt aber der „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx) unverstanden, der ja erst die Grundlage für Ungleichheit und die Ideologie der Ungleichwertigkeit liefert, dann schütten Vertreter des Klassismus mit dem Bade das Kind aus. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Menschen sind überproportional Opfer von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung, wenn sie materiell arm sind!

Der Anti-Klassismus, der im Fahrwasser postmoderner Sprachkritik auch auf „sprachpolizeiliche“ Methoden setzt, stellt darum keinen Ausweg dar. Anti-Klassismus will, dass auf stigmatisierende,  diskriminierende Begriffe wie „Unterschicht“ verzichtet wird. Stattdessen solle lieber von „Armutsklasse“ gesprochen werden. Doch damit ändert sich weder an der Ungleichheit etwas, noch wird an den die Ungleichheit produzierenden sozio-ökonomischen Strukturen gerüttelt. Anti-Klassismus gibt sich vielmehr mit der vagen Hoffnung zufrieden, neue Begriffe schüfen neue Verhältnisse.

Doch angesichts von Kampagnen-Medien wie der Springer-Zeitung Bild, muss diese Hoffnung zerplatzen. Vor Einführung des Bürgergelds trommelten Ende 2022 Politiker von CDU, FDP und AfD im Verbund mit der Bild gegen die „Reform“: „Wird die Sozialhilfe zur Faulheitshilfe?“ Oder: „Ist der Arbeiter bald der Dumme?“, lauteten Schlagzeilen. Bei hart arbeitenden und schlecht entlohnten Beschäftigten sollten „Jobverweigerer“ als Feind markiert werden, weil die es sich angeblich mit 502 Euro monatlich in der sozialen Hängematte bequem machten. Ende Dezember 2023 wurde angesichts der Erhöhung des Bürgergeld-Satzes auf 563 Euro von denselben Akteuren dieselbe Sau erneut durchs Dorf getrieben, indem sie sogenannte „Totalverweigerer“ ins Visier nahmen. Nach dem alten römischen Rezept „Teile und herrsche“ wird Niedriglöhnern das Feindbild der Erwerbslosen präsentiert – obwohl beide Gruppen derselben sozio-ökonomischen Klasse angehören, sprich: im selben Boot sitzen. Die tatsächlichen Nutznießer der diskriminierenden sozio-ökonomischen Verhältnisse, namentlich saturierte Wirtschaftsbosse, überbezahlte Manager oder skrupellose Spekulanten, geraten so aus dem Blick. Gerade mal 0,6 Prozent der 3,9 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gelten als „Totalverweigerer“ – rund 23.000 Menschen. Laut Sozialverbänden haben die meisten von ihnen mit großen Problemen wie psychischen Störungen oder Suchterkrankungen zu kämpfen.

Die SPD, die 2021 mit dem Begriff „Respekt“ Wahlkampf betrieben hatte, ließ sich von Bild weichkochen und stimmte in den Chor mit ein. „Kein Bürgergeld mehr für Jobverweigerer“, triumphierte die Zeitung Ende Dezember 2023. Und weiter: „Exklusiv! Knallhart-Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil“. Dass es Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner SPD jemals außerhalb von PR- und Wahlkampfstrategie um Respekt ging, muss bezweifelt werden. Aber wie schon der erste BRD-Kanzler, Konrad Adenauer (CDU), gesagt haben soll: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?


GANZ SCHÖN EMPFINDLICH - Aktiv im Thema

deutsche-traumastiftung.de | Die Deutsche Traumastiftung arbeitetals Bindeglied zwischen Einrichtungen der Traumaversorgung und der Politik.
drk.de/hilfe-in-deutschland/bevoelkerungsschutz/psychosoziale-notfallversorgung | Der psychologische Notdienst leistet bei plötzliche Krisen Hilfe.
bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/172085/katastrophen-und-ihre-bilder | Der Beitrag diskutiert Probleme der Berichterstattung über Katastrophen.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Zeit des Verlangens
Intro – Ganz schön empfindlich

Ungeschönte Wahrheiten
Teil 1: Leitartikel – Rücksicht zu nehmen darf nicht bedeuten, dem Publikum Urteilskraft abzusprechen

„Meine Freiheit als Rezipient wird vergrößert“
Teil 1: Interview – Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich über Triggerwarnungen in Kunst und Kultur

Vorsicht Kunst!
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler

Allergisch gegen Allergiker
Teil 2: Leitartikel – Für gegenseitige Rücksichtnahme im Gesellschaftsbund

„Wie eine Allergie, die keine ist“
Teil 2: Interview – Allergologin Petra Zieglmayer über den Umgang mit Histaminintoleranz

Keine Subventionen gegen Mensch und Natur
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Schutzgemeinschaft Fluglärm Dortmund – Unna

„Solche Tendenzen sind nicht angeboren“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologin Fiona Kalkstein über Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit

Opfer nicht allein lassen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Weisse Ring Wuppertal hilft Menschen, die unter Kriminalität und Gewalt leiden

Alltag ohne Hindernisse
Städtische Barrierefreiheit – Europa-Vorbild Schweden

Von der Barbarei der Debatte
Natürlich kann man vermeiden, dass irgendwer Dinge hört, gegen die er allergisch ist – Glosse

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!