Die Utopie ist schon länger auf den Hund gekommen, die Erde dadurch aber auch nicht besser geworden. Die Frage bleibt unbeantwortet, woraus die Energie und das Zutrauen zu schöpfen wäre, zumindest seinen eigenen Kindern eine etwas bessere Welt zu hinterlassen. Der Erzähler in Dostojewskis Text „Der Traum eines lächerlichen Menschen" hat sich, nachdem die Mitmenschen ihn für hochgradig lächerlich halten, in stoische Gleichgültigkeit geflüchtet und plant, sich umzubringen. Diese Umwelt ist in der Inszenierung der Gruppe Subbotnik ein putziges Reich aus Papphäuschen mit Pultdächern und eingeschnittenen Fenstern. Ein alternatives Hüttendorf als Idylle der Vorläufigkeit, in der gebügelt, Schuhe geputzt, Kaffee getrunken und musiziert wird: Im hintersten Winkel spielt ein Trio in einem Pavillon auf. Das pseudoutopische Potential, als ein selbst ernannter Ernährungsberater Smoothies aus Christbaumnadeln anpreist, kann den lächerlichen Menschen in Gestalt von Olaf Helbing mit tieftreuen Hundeaugen auch nicht trösten. Er verfällt in einen totalen Solipsismus, wo Ich und Welt eins werden.
Subbotnik assoziert sich locker an der Erzählung entlang, fährt ein veritables Musikensemble auf, es wird gesungen, rhythmisch gesprochen, alles in ziemlich entspannter Haltung. Nur kein Stress mit großen Themen. Der Erzähler träumt sich schließlich als kleiner Vampir mit Bobfrisur in eine perfekte Welt. Die Häuser beginnen zu schweben, weiß gekleidete Menschen schreiten in Zeitlupe einher. Die Welt, in der Eigentum, Wissenschaft, Erkenntnis abgeschafft sind, entpuppt sich als öde Eintracht bestusster Lächelwesen. Als eine Art umcodierter Jesus nimmt es der Erzähler auf sich, den idealen Menschen die gute Nachricht von der Existenz des Bösen zu bringen. Am Ende stehen die Häuschen siedlungsmäßig in Reih und Glied, überall haben sich Paare gefunden, nur ein einsamer Fjodor Michailowitsch (Dostojewski) sinniert noch und kehrt seine hypertrophe Selbstüberschätzung in ein „liebe die anderen wie dich selbst" um. Ein schöner entspannter Theaterabend, hochmusikalisch, mit einem sehr spielfreudigen Ensemble.
„Der Traum eines lächerlichen Menschen" | R: Subbotnik | Studiobühne | keine weiteren Termine
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„I am present but I don‘t exist“
West Off 2023 in Bonn, Köln und Düsseldorf – Prolog 11/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
„Offen für experimentelle Formen und alles Neue“
Dietmar Kobboldt geht als Leiter der Studiobühne in den Ruhestand – Premiere 07/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Mit Ulrike Meinhof reden
„lieber wütend als depressed“ des Parasites Ensemble – Auftritt 10/22
„Ein Konzeptalbum, das sich mit Köln auseinandersetzt“
Daniel Schüßler über„Shit(t)y Vol.1.“ in der Tanzfaktur – Premiere 09/22
Wurzeln, Muskeln, queere Körper
„Mandragora“ in der Tanzfaktur – Auftritt 08/22
„Ab wann kippt ein freier Geist?“
Constantin Hochkeppel & Collaborators über „Tipping Points“ – Premiere 04/22
Sprungbrett für den Nachwuchs
Festival West Off an der Studiobühne – Prolog 03/22
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Verspätete Liebe
„Die Legende von Paul und Paula“ in Bonn – Theater am Rhein 05/24