Auch am zweiten Abend spielten drei Gruppen halbstündige Sets im nicht ganz gefüllten Konzertsaal. Mit der Auswahl der insgesamt sechs Acts hatte Programmchef Reiner Michalke den befreundeten Musikjournalisten Hans-Jürgen Linke beauftragt, der Köln schon seit 40 Jahren als wichtigste Stadt für Jazz und improvisierte Musik ansieht und als Jurymitglied beim Horst-und-Gretel-Will-Stipendium (Kölner Jazzpreis) seine gute Kenntnis des Kölner Nachwuchses ins Spiel brachte. So verwunderte es nicht, dass bei seinem „kleinen Konzertprogramm“ die Preisträger Lucas Leidinger (Trio Aurora), Filippa Gojo (phase::vier), Leonard Huhn (Enso) und der letzte Gewinner, der Schlagzeuger Dominik Mahnig, mit von der Partie waren.
Der aus der Schweiz emigrierte Mahnig trat als Duo mit der aus der Ukraine stammenden Sängerin Tamara Lukasheva auf, oder sollte man sagen Stimmkünstlerin? Linke wies hier zu Recht darauf hin, dass es sich bei Schlagzeug und Stimme um zwei besonders alte Instrumente handele, und das Duo verband eine Ursprünglichkeit in den Klängen und Spielformen mit heutigen Themen und Inspirationen. Am besten greifbar war der kurze Song „Zeitgefühl“, der zunächst mit dem (nachgeahmten) Ticken von alten Uhren begann und zu einer Art musikalischem Gleichschritt zu Marschtrommeln überging. Songschreiberin Lukasheva, die abwechselnd auf Englisch, Russisch, Ukrainisch und Deutsch sang, wandte sich beim Scatten immer wieder Mahnig zu und stachelte das Zusammenspiel weiter an – er nahm über den Blickkontakt jede Herausforderung an, legte noch einen drauf und es entstanden beachtliche Symbiosen. Mahnigs Koordination und Schnelligkeit, seine Fähigkeit, ein ganzes Arsenal von Klangspielzeugen im Rahmen erweiterter Techniken stimmig und nahtlos einzubinden, verblüfft, und es ist vorstellbar, dass er in größeren Gruppen, die ihn nicht periodisch an seine Grenzen führen, etwas unterfordert wäre. Die Songmischung hätte allerdings neben dem Spielerischen, das wiederum auf die Ursprünge der Musik verweist, in diesem Kontext auch mehr ernstere Akzente vertragen.
Das Quartett Enso von Impakt-Mitbegründer Stefan Schönegg (Schönegg: Kontrabass, Leonhard Huhn: Saxophon, Nathan Bontrager: Cello, Etienne Nillesen, Schlagzeug) führte zeitgenössische Musik auf, die sich, basierend auf doppelten Trommelschlägen in der hinter allem präsenten Stille langsam aufbaute: Was sich da rührte und halb bedrohlich und bewusstlos herannahte, war letztendlich vor allem eine gewisse Farbe und Ordnung und eine schöne melodische Passage, aber ein Knall brachte zweimal alles wieder zum Schweigen und erzwang einen Neuaufbau auf einer weniger primitiven Stufe. Schönegg verband hier neue Einzelstücke, in denen er die Ansätze des Debütalbums weiterverfolgt.
Das Mengamo Trio spielte ein dramatisches elektrisches Set. Thomas Sauerborn am Schlagzeug legte eine sehr variable Basis für Philipp Brämswig an der E-Gitarre und Sebastian Scobel an der Hammond-Orgel, der mit der linken Hand keine regelrechten Bassläufe spielte, aber doch keine Defizite im Klangbild aufkommen ließ. Die drei aktualisierten das Fusion-Genre mit aktuellen Spielweisen und überzeugten soweit auf ganzer Linie technisch und künstlerisch. Mit Scobels Dank an das Publikum, dass man Live-Musik unterstütze, endete dieser Teil des geselligen Abends, an dem wieder jede Gruppe auf ihre Weise beeindruckt hatte.
Man muss sagen, dass beim Cologne Open vor allem die einzelnen jungen Musiker Freude machten und – im Prinzip je nach Alter – entweder Virtuosität oder zumindest weit fortgeschrittenes Können bewiesen, während das Material kompetent genug, aber nicht immer so beachtlich ausfiel oder originell war. Wenn von verschiedenen Gruppen zudem etwas plumpe Songtitel angesagt wurden, war es am besten, sie direkt aus dem Bewusstsein zu verbannen. Jede der Gruppen befasste sich mit musikalischen Möglichkeiten und keine beanspruchte, die musikalische Gegenwart allein für sich gepachtet zu haben. Vielmehr waren die Musiker daran interessiert, was die anderen machten.
Beim gut besuchten Gratiskonzert im Studio 672 ab halb elf sang Hanna Schörken solo eigene Kompositionen und der Kölner Halb-Iraner Pablo Giw, der bei Markus Stockhausen gelernt hat, gab mit Trompete und Stimme minimalistische Klangkunst zum Besten, die die Möglichkeiten des Mikrofons ausreizte. Das Cologne Open endete mit einer Clubnacht mit außergewöhnlichen Klängen von Lauritz, Phillip Jondo und Sarah San.
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