Am Beginn jedes Krieges müssen Unterscheidungen getroffen werden. Wer ist Freund, wer ist Feind? Wer muss mitmachen, wer nicht? Schützengraben oder „Heimatfront“? Das Stück „P.R.O.P.A.G.A.N.D.A. – Ein Stück Krieg“ des Brachland-Ensembles und des nö-theaters beginnt mit einer aufwendigen szenischen Aktion, die das Publikum in zwei Gruppen teilt. Die einen dürfen im Saal bleiben, die anderen müssen in den tristen Gewölbekeller. Dort wartet Enkel Thomas, der auf einem kleinen Bühnensteg seine Urgroßeltern Johanna und Heinrich nach Ursache, Stimmung, Fronterlebnissen des 1. Weltkrieges befragt. Es ist das abgestandene Ritual des „Wie war das damals?“, das daherkommt, als sei es einem Familienratgeber entnommen. Danach werden aus Originalbriefen und –tagebüchern drei Monologe gegeneinander geschnitten, die von der „Heimatfront“, von der Front und der Ausbildung berichten.
Das ist zwar eindringlich gespielt, in seiner schlichten didaktischen Aufbereitung, seiner psychologisierenden Spielweise, seiner konventionellen Dramaturgie wirkt die Szene allerdings wie Theater passend zum Schulcurriculum. Da geht es im großen Saal der Orangerie aufregender zu. Ein Junge vom sogenannten Oberstaat lümmelt auf einem Teppich vorm Fernseher rum. Endlos wiederholen sich Werbespots für Getränke, Chips und ideologische Comicfiguren. Das aufwendig produzierte Material schafft beste Sci-Fi-Atmo. Der Junge muss ein Quiz lösen und Briefe, die von der Decke hängen, in einen Briefkasten stecken. Dafür bekommt er Chips frei Haus geliefert. Konsumismus, Indoktrination, Langeweile, trostlose Animation gehen Hand in Hand – bis ein Mädchen vom Unterstaat ihren Anteil an den Briefen fordert und zur Verdeutlichung die Chipszufuhr einschränkt.
Katastrophe! Das Fernsehen setzt zum ideologischen Overkill an, preist Waffen an, diffamiert den Gegner und der Junge macht alles mit. Der sarkastische Witz daran: Was wir auf dem Fernsehgerät als übelsten AgitProp sehen, haben die Macher aus Kindersendungen von Pro Sieben über ZDF bis Hamas TV entnommen. Am Ende triumphiert das Mädchen als Stinkegeneral über den kleinlauten Jungen. Das Setting mag naiv sein, doch die Besetzung mit den kindlichen Darstellern ist konsequent und macht das Stück zu einer Art Parabel, die ihre Wirkung am Ende nicht verfehlt.
„Propaganda“ | R: Janosch Roloff, Dominik Breuer, Gunnar Seidel | 3.7.-6.7. 20.30 Uhr | Orangerie | 0221 952 27 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es geht schlichtweg um alles“
Regisseur Marcus Krone und Schauspielerin Kristina Geßner über „Am höchsten Punkt“ in der Orangerie – Premiere 01/25
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“
Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24